Wie vorgeblich konstruktive Versuche Mobbing nutzen und zu Zerstörung führen

Mobbing konzentriert sich immer auf Äußerlichkeiten: auf Stil und Ton, auf Aussehen und Hautfarbe, auf Gruppenzugehörigkeit. Mobbing ist Konditionierungsversuch.

Deshalb muss Kommunikationsorganisation, die konstruktives Miteinander fördern will, genau den anderen Weg gehen und sich auf Sachaspekte und FORM der Kommunikation konzentrieren, statt auf als konstruktiv eingeschätzte Werte wie Freundlichkeit, vertrauensvolle Atmosphären und so weiter. Diese wirken nicht nur paradox, sondern außerdem innovationsfeindlich.

Das bedeutet nicht, dass wir Atmosphären der Unfreundlichkeit und des Misstrauens fördern sollten, sondern es gilt zu erkennen, dass alle Reaktionen auf Äußerlichkeiten versuchen die Beziehungsebene zu regulieren. Sie führen von der Sachebene weg und erlauben es emotionalen Triggern und Verlustaversion die Kommunikation auszurichten. Mobbing ist unweigerlich die Folge - jene werden gemobbt, die die unmöglichen Dinge sagen und tun, und das Mobbing entwertet die Sachebene und damit den Persönlichkeitswert des Andersdenkenden und Andershandelnden für die Gesellschaft, indem vollständig von dem weggeführt wird, was ihn oder sie ausmacht (nämlich der andere Gedanke, die andere Tat) und hingeführt wird zu dem, worauf man sich gleichzuschalten versucht: die gleiche Art zu denken, zu sprechen und zu handeln.

Nachhaltig konstruktives Miteinander setzt auf konstruktives Irritationsinteresse, wissend, dass Konflikte, Ambivalenz, Ambiguität nicht nur unvermeidlich sind, sondern dass sie aus Komplexität entstehen. Es ist die Irritation, die der Andere in uns auslöst, die uns die Chance für Veränderung liefert, insofern müssen wir ihm schon erlauben, uns irritieren zu dürfen und ihn sogar motivieren uns irritieren zu können. Das bedeutet: Wir finden Mittel und Wege zu signalisieren, dass wir konfliktoffen sind, auch wenn es uns dabei schlecht geht. Gute Gefühle sind hier nicht nötig - sie haben zu müssen, sogar schädlich.

Es ist vollkommen in Ordnung, sich auch mal schlecht zu fühlen, wütend zu werden, zu erröten, zu stottern, sich unbehaglich zu winden, Angst zu haben, solange schlussendlich auch daran gearbeitet wird, emotionale Affekte rational begleiten zu können, so dass sie zwar da sein dürfen, nicht aber immer unbedingt stören müssen. Doch auch stören müssen sie können dürfen, denn oft sind sie das Einzige, was uns vor dem Bully schützt - ganz besonders, wenn dieser ins Gewand der Liebe gekleidet an uns herantritt und uns darüber zu mobben, zu kontrollieren, zu besitzen, zu betrügen und auszubeuten versucht. Niemals sollte sich jemand schlecht fühlen müssen, der auf so etwas mit emotionaler Abwehr reagiert! Er/sie folgt nur eigenen Wahrhaftigkeitsinstinkten, die dem narzisstischen Übergriff des Anderen begegnen. Die emotionale Reaktion ist evolutionär älter, deshalb oft schneller und erfahrener als der bewusst reflektierende Verstand.

Ohne den Anderen können wir viele Teile der Welt überhaupt nicht sehen. Ein Künstler braucht jemanden wie Einstein, wenn er selbst nicht fähig ist so etwas wie Relativitätstheorie zu entwickeln, um so auf neue kreative Ideen für seine Bilder zu kommen. Jemand wie Einstein braucht, wenn er qualifiziert Musik machen will, Leute, die ihm dafür Violinsonaten schreiben, weil er es selbst nicht kann. Könnte er deren Sonaten nur dann spielen, wenn ihm die Künstler menschlich sympathisch wären, könnte er nur das spielen, was von der FORM her bereits zu seinen eigenen Emotionalitäten passt. Nur eitle Narren wehren gute Kunst und gute Projekte ab, weil ihnen Künstler und Projektgeber nicht sympathisch genug sind.

Die Andersartigkeit des Anderen wird immer unbequem sein. Gleichheit vermittelt Wohlgefühle, denn in der Gleichheit erkennen wir uns selbst. Um aber die eigenen blinden Flecken zu erkennen, benötigen wir die blinden Flecken der Anderen - die durch sie erzeugten Störungen erlauben uns erst einen weiteren Blick. Wer glaubt, er braucht die Andersartigkeit des Anderen, der ihn noch zu irritieren vermag, nicht, glaubt auch bereits, dass er die "richtige Wahrheit" gefunden hat.

Eltern finden häufig ihre Kinder irritierend, deshalb wollen sie sie erziehen und ertragen dann die Irritation höchstens, anstatt sie für sich zu nutzen, aber wohin erziehen sie sie? Oft dahin, dass die Kinder nicht mehr irritieren (können). Was dabei auf der Strecke bleibt: Dass die Eltern von ihren Kindern lernen und aus den Perspektiven dieser heranwachsenden Menschen erfahren, wie sie für sich neue Perspektiven gewinnen.

Gesellschaften, die ihre Kinder so erziehen, bringen Erwachsene hervor, die mit der Irritation, die der Andere ist, nicht mehr umgehen möchten oder gar können, und die dadurch in tiefe Konflikte mit sich selbst gestoßen werden, weil sie daran glauben, dass Selbst und Miteinander ohne Irritation besser funktionieren. Doch Identität funktioniert immer paradox, weshalb Konflikte mit sich selbst und mit anderen unvermeidbar sind und weshalb jeder Versuch sie auszuschalten dazu führt, an Entscheidungs- und damit kreativer Kraft zu verlieren.

Erst in der Irritation, im Konflikt schubsen wir uns ins Neue hinein. Erst in Irritation und Konflikt emergiert konstruktives Miteinander. Alles andere ist Gleichschaltung.

Da unmöglich ist, auch ernstere Konflikte zu vermeiden und ebenso unmöglich ist, über rein auf Zuhören, Verständnis, Vertrauensatmosphären und so weiter gesetzte Kommunikation zu organisieren, ohne dass sie monoton wird und beginnt ernstzunehmende, beziehungsweise nachhaltige Innovation zu verhindern, hilft zu begreifen, dass wir emotionale Menschen sind und ein richtiges Boot nun einmal schaukelt.

Wer versucht sich emotional so zu glätten, dass nichts anderes mehr als Freundlichkeit gezeigt werden kann, gibt seine Fähigkeit neu zu entscheiden dort auf, wo das System an die Konflikte stößt, die durch Freundlichkeit motiviert werden. Deshalb kann der Vorschlag des Dalai Lama allem mit Freundlichkeit und Humor zu begegnen, nicht klappen. Freundlichkeit kann in der Krise kraftlos machen - schlimmer noch: im Weg sein. Der Rettungssanitäter, der dringend durch die Schaulustigen an den Schwerverletzten ran muss, wird im Zweifelsfall sogar zu Gewalt fähig sein, sonst kann er seinen Job nicht machen. Er muss "ruppig" können, durchsetzungsfähig und humorlos. Er muss fähig sein auf die Gefühle der Umstehenden keine Rücksicht zu nehmen. Solche Fähigkeit wird aber in pseudokonstruktiven Umfeldern unterdrückt, und das ist einer der Gründe, warum wir so schlecht mit Krisen umgehen: Ausgerechnet diejenigen, die mit den besten Absichten über "gute Werte" reden, schwächen das System und stärken destruktive Kräfte, weil sie nicht wissen, was sie da tun und dass ihre Vorschläge widernatürlich sind und alles nur noch schlimmer machen werden, lernen sie nicht, ihren Fokus zu verlagern.

Wechsel ist Stabilität - Stabilität ist Wechsel - sagt der Mystiker, und der Blick auf den Baum des Lebens der Kabbala verrät uns, dass Gnade durch Strenge ausgeglichen werden muss und umgekehrt, dass nur durch die Fähigkeit Gegensatzpaare zu leben (und sie eben nicht so "auszugleichen", dass nur Matsch übrig bleibt) echter Ausgleich und damit konstruktive Beziehungen emergieren können. Wer sich vorstellt, dass Ausgeglichenheit darin besteht, lächelnd fünf Zentimeter über dem grünen Rasen zu schweben und durch nichts mehr getriggert zu reagieren, und wer das versucht sozial zu organisieren, der muss sich gefallen lassen, dass wir ihm nicht nur vorwerfen, ideologische Systeme zu motivieren, sondern von vornherein Willkürsysteme zu initialisieren, in denen Whataboutism und Mobbing regieren.

Der auf pseudokonstruktiv gedrillte Mensch hat keinen Sinn für freilassendes Denken, beziehungsweise wird in seinem saft- und kraftlos freilassenden Denken entweder von seinen Glaubenssätzen so weichgespült, dass sich gerade dadurch jede Form von denkbarer Bosheit durchsetzen kann oder wird selbst zum Erzieher.

Evolution hat uns als komplexe Konfliktsysteme hervorgebracht, das ist unsere Stärke. Gleichzeitig hat sie konservatives Denken in uns angelegt, um dafür zu sorgen, dass funktionierende Lösungen nicht umgehend wieder umgestoßen werden. Zwischen diesen beiden herausragenden Fähigkeiten uns kontinuierlich zu innovieren und uns gleichzeitig zu konservieren emergieren tagtäglich unsere Lebenskonflikte mit uns selbst und mit anderen, die wiederum Veränderung anstoßen und gegen deren Resilienz wir uns oft nur mit Macht zur Wehr setzen können.

Über diese Macht und Kraft verfügen wir: Wir sind Raubtiere, Eroberer, Forscher auf wilden, einsamen Bergen, Künstler, die ein Leben in Armut Verrat gegen ihre Impulse vorziehen, Entwickler, die sich anhaltend gegen die Konditionierungsversuche Anderer stellen können, weil sie dem Ruf ihrer Gene folgen, Beiträge zur gesellschaftlichen Entwicklung zu leisten.

Wenn wir diese Fähigkeiten sozial durch falsch angesetzte Kooperationssysteme zu unterdrücken versuchen, suchen sie sich ihre Wege an anderen Stellen, beziehungsweise verlieren wir an Energie uns gegen sie zur Wehr zu setzen, wo sie uns eindeutig schaden, wo sie uns und andere ausbeuten, unsere Umwelten rücksichtslos zerstören und uns in Richtung Abgrund treiben.

Deshalb und aus vielen anderen Gründen ist es keine gute Idee, auf konstruktives Miteinander über Tonregulierung, über Äußerlichkeiten zu gehen. Dieser Weg sorgt nicht für die Art von multiresilientem Denken, Sprechen und Handeln, das wir in Metakrisen brauchen. Er versperrt ihn, und er tut dies durch Mobbing, wie wir immer wieder bei jenen beobachten können, die auf Kritik an eben ihren konstruktiven Versuchen genau damit reagieren. Tonregulierung bringt die Narzissten und Psychopathen nach oben - alle anderen können sich gegen uns ja nicht durchsetzen. Tonregulierung treibt die Künstler und Forscher ins Abseits, weil sie in den Symbolsätzen der Masse ihre Kunst und Forschung nicht betreiben können. Tonregulierung heißt Mobbingsystem, heißt Mobbingerfahrung für Jeden.

Wir sind hier herausgefordert mehrdimensional zu denken. Transpersonales Leadership, Konzentration auf Zuhören und andere Verliebtheiten in die eigenen (nur scheinbar guten) Visionen bringen keine multiresilienten Systeme hervor, es sei denn, wir würzen das Ganze mit ordentlichen Prisen Verständnis für Individualität, emotionale Reaktion, vollständige Andersartigkeit, Irritation, Konflikt, Ambiguität, Polyvalenz und so weiter.

Wir sollten damit aufhören zu versuchen, unsere Natur abzuschaffen und statt dessen das tun, wofür wir tatsächlich gebaut sind: die entropische Welle zu surfen. Wir sind alle geborene Komplexitätsmeister und Chaos-Manager. Wir sind alle ein bisschen gaga, ein bisschen durcheinander, ein bisschen emotional, ein bisschen schief und schräg, ein bisschen kompliziert, ein bisschen konfliktavers (und deshalb streitsüchtig) und so weiter. Das hat Evolution in uns angelegt, damit wir überleben. Wie absurd von uns, diese Fähigkeiten gering zu schätzen, anstatt sie zu akzeptieren und zu lernen damit umzugehen, ohne uns gegenseitig in Richtung "jetzt sind wir alle konstruktiv" zu mobben, oder?