Der stehende Intelligenzbegriff bringt (wie Vieles aus der Bewusstseins- und Hirnforschung) das Problem mit sich, dass meiner Ansicht nach viele Pferde von hinten rum aufgezäumt und damit Entwicklungschancen vertan werden, da die Verantwortlichkeit für Phänomen, Handlung, Potenzial ... gar nicht erst kommuniziert wird/werden kann.
Ein Beispiel: "Menschen, die Selbstgespräche führen, sind intelligenter."... wird häufig so verstanden:
Höhere Intelligenz ist Voraussetzung für Selbstgespräche. (Entsprechendes übrigens bei: Höhere Intelligenz ist Voraussetzung für Unordentlichkeit und Fluchen. Dazu habe ich ein anderes Modell: Depression aufgrund von Konditionierungsversuchen der dummen Masse.)
Der Zusammenhang zwischen Intelligenz und Selbstgespräch funktioniert aber praktisch (auch) anders herum:
Die Kombination aus operativem und sinnlich wahrnehmbaren Beschreiben und reflexivem und reflektiertem Denken steigert Entspannung und Konzentrationsfähigkeit, was automatisch dazu führt, dass höhere Komplexitäten gemanaged werden können. Mit anderen Worten: Das macht ruhiger und klüger. (Deshalb sind übrigens in meinen Augen Zen und Raja-Yoga die Kronen der Meditationstechniken, aber darüber können wir natürlich gern streiten.)
Eine sehr einfache Methode, operatives und sinnlich wahrnehmbares Beschreiben und reflexives und reflektiertes Denken zu erlernen, besteht darin, verbal zu kommentieren, was wir gerade tun: "Ich gehe jetzt zum Kühlschrank, so, und stelle das hier, da hin, dabei bewege ich meinen Arm ..." Wir machen laut und bewusst, was wir für selbstverständlich halten und womit wir als kleine Kinder zu weiten Teilen beschäftigt waren: Wir veranschaulichen uns unsere Zeichen- und Selbstorganisationsprozesse.
Auch (und ganz besonders) innere Dialoge abzuschalten zu lernen, wird durch Selbstgespräche leichter. In unseren inneren Dialogen reflektieren sich unsere inneren und äußeren Spannungen, aber auch unsere Traumatisierungen. Die inneren Stimmen nehmen dabei die Rollen wichtiger Gestalten aus unserer Kindheit ein: Kritische Eltern-Ichs, Fürsorgliche Eltern-Ichs, akzeptierende Eltern-Ichs, nicht-okay-Kindheits-Ichs, konformistische Kindheits-Ichs, Erwachsenen-Ich (so vorhanden) und so weiter.
Bei diesen Gestalten handelt es sich um geronnene FORMen unserer Konditionierung, die unbewusste Menschen in Gesellschaft hineintragen und dort fortpflanzen.
Viele tragen ihre inneren Dialoge in ihrem äußeren Leben, in ihren Beziehungen und an ihren Freunden, Kollegen, Verwandten, Bekannten und Kindern aus. Das verdammt sie und die so Betroffenen kontinuierlich dazu, ihre Vergangenheit zu wiederholen - bis sie sich dessen bewusst werden. ... Dasselbe gilt für Gesellschaft(en).
Laute Selbstgespräche können beim Bewusstwerdungsprozess helfen und uns aus inneren Dialogen herausführen. So werden wir intelligenter, denn so schaffen wir Raum für neue Kapazitäten, neue Denkmuster, neue Potenziale, neue Erlebnisse.
Solange wir nicht bewusster werden, bleiben wir so dumm, wie wir uns gerade machen.
Und auch hier gilt dasselbe für Gesellschaften: Gesellschaften, die ihre Konditionierungsprozesse nicht kommunizieren (die keine Empathie für sich selbst entwickeln), können an der Stelle eben auch nicht kommunizieren und dementsprechend nicht bewusst(er) werden.
Ein Systemiker, der Kybernetik 3. Ordnung nicht für notwendig hält, hat mir einmal gesagt, zu Empathie mit sich selbst fehle ihm die Übung. Er meinte das wohl anders, aber, ja, genau das ist das Problem:
Ohne bewusste und anhaltend geübte Selbstreflexion und ohne die Fähigkeit, operational und sinnlich wahrnehmbar zu beschreiben, keine Empathie für sich selbst - und damit fehlt dann auch die Grundlage für (emergente) Kommunikation.
Und ohne diese Voraussetzungen können Menschen nicht über ihre jeweilige Komplexitätsmanagementstufe hinauswachsen.
Der 1952 in Rom verstorbene spanische Philosoph George Santayana hat es mit dem eben bereits erwähnten Satz auf den Punkt gebracht:
Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen.
Zu reflektieren bedeutet, sich seinen eigenen inneren Dämonen zu stellen. Tun wir das nicht, begegnen sie uns da draußen immer wieder - so, wie wir jetzt in Deutschland die Dämonen des Nationalsozialismus in den Straßen skandieren und wieder morden sehen. Extremismus zeigt auf mangelnde Selbstreflexion. Mehr noch, es handelt sich dabei um einen aktiven und brutalen Versuch, Selbstreflexion zu entkommen, weil sie weh tut.
Wir haben versäumt, unsere Konditionierungsmuster zu reflektieren und statt dessen unsere Aufmerksamkeit auf im Äußeren (Wirtschaft, Politik, Status, Renommee) wirksam werdende Bildung konzentriert. Als therapiebedürftig galt nur der, der gesellschaftlich nicht mehr angepasst handeln konnte. Wir haben unseren Wohlstand nicht dafür genutzt, unsere Menschlichkeit zu schulen. Wir haben uns unseren inneren Schmerzen, aber auch unserem inneren Reichtum nicht gestellt, sondern wir haben uns überwiegend im Äußeren bereichert, so dass wir jetzt dafür bezahlen - und das global:
Klimakrise, Ressourcenmangel, Massenmigration, Elend, Welthunger, Kriege - wo diese nicht durch Naturkatastrophen ausgelöst wurden, zeigen sie mitten in unser Herz, auf unseren Verstand und fragen nach diesem einen Mut, den wir nicht hinreichend entwickelt haben:
Sie fragen nach dem Mut uns zu reflektieren, Selbstgespräche zu führen und diese bewusst zu veräußerlichen, anstatt sie sich unbewusst austoben zu lassen.