Über Abtreibung
Nachdem der "schlimme alte Mann in Rom" [1] Abtreibung mit Auftragsmord verglichen hat, wird es Zeit für ein paar systemische Gedanken zum Thema.
Ich will gar nicht lange herumfackeln und mit emotionalisierten Argumenten herumhantieren, auch wenn ich durchaus der Ansicht bin, dass hier ein wenig Wut nicht schaden kann.
Ich mache statt dessen eine Liste, was es bedeutet, wenn Frauen ausnahmslos und grundsätzlich das Recht auf Abtreibung verweigert und Abtreibung kriminalisiert wird:
Die Frau muss in diesem Fall alle persönlichen Pläne zurückstellen.
Egal, ob sie sich gerade in einer Ausbildung befindet, sich zu jung fühlt, ob sie sich beruflich in einer wackligen Situation sieht, die durch die Schwangerschaft gefährdet wird, berufliche Pläne hat, die dadurch nicht nur aufgeschoben, sondern auch verhindert werden könnten, ob sie ihr Studium beenden möchte oder für eine Weile durch die Welt reisen:
All die Freiheiten, die Männern offen stehen, hat die schwanger gewordene Frau nicht mehr.
Die Lebenssituation, in der sich die Frau befindet, spielte ebenfalls keine Rolle.
Unabhängig davon, wie die Schwangerschaft zustande gekommen ist, wird die Betreffende zur Gefangenen der Situation. Ob sie vergewaltigt wurde, ob sie Familie oder sogar einen Mann (oder eine Partnerin) hat, die/der ihr zur Seite steht, all das würde bedeutungslos. Sie müsste damit allein fertig werden, denn auch ihre Partner, Freunde und Familie können ihr nicht dabei helfen, dass Gesellschaft sie in die Rolle der Gebärmaschine zwingt.
In den Wohlstandsländern müsste sie sich im Notfall auf die jeweilige Wohlfahrt einlassen und würde, so sie sich entscheidet, das Kind zu behalten, ihre Freiheitsrechte über ihre Vorstellungen über das Wohl des Kindes zurückstellen müssen. Sie müsste dieses Kind einer Welt ausliefern, die Regeln dafür hat, wie arme Menschen zu leben haben.
In Entwicklungsländern müsste sie im Zweifelsfall das Kind bitterster Armut und sozialer Isolation aussetzen.
Wir verlangen von der Frau übermenschliche emotionale Selbstbeherrschung.
Auch im schlimmsten Fall, in dem die Schwangerschaft Resultat einer Vergewaltigung (auch zum Beispiel durch Beziehungspartner) ist, verlangen wir von den betreffenden Frauen, dass sie ihre eigenen Gefühle durch Liebe zum Kind ersetzen. Längst ist bekannt, dass die Gefühle der Frau während der Schwangerschaft die psychische Gesundheit des Kindes be-treffen. Wir müssten also konsequent zu unserer eigenen Entscheidung sein und Verantwortung für das Kind übernehmen und es vor seelischem Schaden bewahren. Das bedeutet, wir müssten die Frauen nicht nur in die Austragung, sondern auch gleich mit in eine halbwegs durchschnittliche seelische Ausgeglichenheit zwingen – wie soll das gehen? Zwangstherapie? Es sei denn natürlich, wir finden es vertretbar, dass ein Kind bereits traumatisiert zur Welt kommt und wir es lebenslangem Leiden aussetzen, oder dass wir beschließen, ganz grundlegend so auf die Gemüter der Frauen einzuwirken, dass sie von vornherein ihr höchstes Lebensglück darin sehen, Kinder zur Welt zu bringen.
Wir müssen in diesem Zusammenhang auch über die Frauen nachdenken, die nicht verantwortungsbewusst genug sind, um sich bereits um ein Kindeswohl angemessen bemühen zu können, wie Frauen, die Drogen nehmen, Frauen, die sich der Überwachung entziehen könnten. Wir müssten über ein Kontrollsystem für Frauen generell nachdenken, um Vorsorge gegen die Frauen zu treffen, die sich nicht freiwillig unseren Vorstellungen beugen wollen oder beugen können. In dem Fall reden wir über Konditionierung!
Die Frau verliert ihre rechtliche Gleichstellung.
Wir würden der Frau die Rechte über ihr eigenes Leben zugunsten der Rechte eines anderen beschneiden, und wir täten das mit einem sehr fragwürdigen, ja zynischen Argument: Leben zu schützen.
Über Evolution nachgedacht, baut alles Leben auf Vergänglichkeit von Leben auf. Jedes Leben lebt von anderem Leben. Wir Menschen sind die schlimmste Gewalt für unseren Planeten und alles Leben auf ihm. In diesem Augenblick leben wir unseren eigenen Wohlstand auf dem Leben anderer Menschen und anderer Wesen.
Aus lebensevolutionärer Perspektive funktioniert das Leben ganz kaltblütig nur deswegen, weil es sich von anderem Leben ernährt. Das heißt, es beschließt über die Existenz anderen Lebens. Ob es tötet oder nicht tötet, ist evolutionär eine wichtige Entscheidung. Leben funktioniert nicht per Indoktrination, und Evolutionssysteme funktionieren dadurch, dass sie variieren und selegieren können.
Wenn man auf dem Niveau des Papstes hingeht und das Leben in seiner Entscheidungsfähigkeit derart beschränkt, stellt sich die Frage, ob dieses Leben noch überlebensfähig ist. Bei einer Verallgemeinerung der Denkweise müssten wir uns die Frage stellen, ob wir die Fliege an der Wand noch erschlagen dürfen.
Noch einmal mit anderen Worten: Das Leben ist darauf angewiesen, über anderes Leben zu entscheiden. Solche Entscheidungen können und sollten wir heute systemisch fällen und nicht per Ideologie. Ideologien führen dazu, dass keine sinnvollen Entscheidungen mehr gefällt werden können.
Eine Gesellschaft, die der Frau die Gleichberechtigung raubt, hat meiner Überzeugung nach keine Argumente, kein Recht auf ihrer Seite, solange sie der Frau nicht auf die Art und Weise unter die Arme greift, die sie in solch einer Situation benötigt. Mehr noch bestimmt die Gesellschaft so nicht nur über das Leben der Frauen, sondern auch über das der betroffenen Kinder. Die Gesellschaft bestimmt hiermit negativ über ihre eigene Weiterentwicklung. Indem sie die Frauen im Zweifelsfall in eine soziale und wirtschaftliche Außenposition zwingt, zwingt sie auch die Kinder zu einem Leben, in dem ihre Mütter nicht darüber entscheiden können, ihnen größere Freiheitsräume zu schaffen als die, die der jeweilige Staat für sie als "Mindestmaß" vorgesehen hat.
Solange Frauen die Schwangerschaft durch (und auch anschließend solange sie es wollen) nicht wirtschaftlich abgesichert und sozial eingebettet sind, hat Gesellschaft kein Urteil auf ihrer Seite, über das Leben der Frau und des betreffenden Kindes zu entscheiden. Sie maßt sich aber mit dem Zwang zur Geburt des Kindes das Recht an, den Lebensweg von Mutter und Kind vorherzubestimmen. Technologie kann das ändern, aber solange wir ungeborene Kinder noch nicht in andere Frauen oder Männer oder Maschinen umpflanzen können, sind unsere Entscheidungsmöglichkeiten über die Entscheidung der Frauen beschränkt, oder wir müssen die Konsequenzen tragen.
Solange Frauen nicht die Freiheit haben, wählen zu können, wie sie ihre Kinder erziehen (ob sie sie zum Beispiel gräßlichen Großeltern, Kindertagesstätten und dysfunktionalen Schulen überlassen wollen), solange kann die Gesellschaft den Frauen das Recht nicht verweigern, darauf zu verzichten, in ihrem eigenen Körper ein anderes Leben wachsen zu lassen, das sie nämlich anschließend (die Freiheit dieser Überzeugung müssen wir ihnen lassen) in eine Gesellschaft übergeben müssen, die die Freiheiten, Gaben und kreativen Potenziale des Kindes ebenso wenig wertschätzt wie ihre eigenen.
Uns muss klar werden, dass die Bedingungen, die wir für Mütter und Kinder schaffen, die Bedingungen sind, die ihre Beziehungen mitbestimmen. Die seelische Gesundheit des Kindes hängt mit der der Mutter zusammen. Was für Signale senden wir an die Frauen aus, wenn wir ihnen sagen, dass uns nicht nur ihre Körper und ihre Selbstbestimmung egal sind, sondern auch ihr geistiges Wohl und das ihrer Kinder?
Ich wiederhole: Wir sprechen über fundamentale Eingriffe in das Leben, Denken, Handeln der Frauen und der Kinder. Wir sprechen in der Folge des Postulats des Papstes darüber, dass in Ländern auf dieser Erde, in denen es keinerlei halbwegs anständige Absicherung gibt, Frauen und Kinder im Fall der Fälle bitterster Armut, sozialer Isolation oder sogar dem Tod ausgesetzt sind.
Wir müssen bei dieser seiner allgemeinen Formulierung auch über die Frage der Notabtreibung nachdenken und stehen somit grundlegenden Überlegungen zur Wertigkeit des Lebens der Frau und der Gesellschaft gegenüber. Mit diesem einen Satz hat sich der Papst nicht nur auf die Seite von Männern wie Brett Kavanaugh geschlagen, von denen wir befürchten müssen, dass sie das Abtreibungsrecht z. B. in den Vereinigten Staaten ausdünnen, sondern auf die Seite aller Gegner der Freiheitsrechte von Frauen und der Entwicklungsrechte von Mädchen.
Wir sprechen konsequent über grundlegende Einschnitte in die Sexualität der Frau!
Eine Frau, die weiß, dass sie im Notfall, wenn Pille oder andere Verhütungsmittel versagt haben, allein dasteht: Wie kann eine solche Frau ihre Sexualität frei entwickeln? Wie kann sie eine gesunde Beziehung zu ihrem Körper und ihren natürlichen Bedürfnissen ausbilden? Wie kann eine bereits auf dieser Ebene eingeschränkte Frau zu einem gesunden, emanzipierten, selbstbewussten und in Freiheit denkenden Wesen werden, das sich selbstentscheidend in Gesellschaft einbringt, das eine Bewusstheit für sich selbst entwickelt hat, die ihre eigene Körperlichkeit in vollem Umfang einschließt?
Was für Mädchen bringen wir hervor und was für Jungen? Eine Gesellschaft, die ihren Frauen die ursprünglichsten aller Rechte verweigert, wird nicht nur geistig verkrüppelte und unterentwickelte Mädchen und Frauen züchten, sie wird auch Jungs und Männer hervorbringen, die keinen Sinn für die Würde der Mädchen und der Frauen haben (und somit auch keinen für ihre eigene). Sie wird Unterschiede, die wir in Wohlstandsgesellschaften längst als dysfunktional für unser geistiges, wirtschaftliches und soziales Wachstum erkannt haben, wieder in die Gesellschaft hineinkonditionieren.
Wir kennen dieses Mindset und seine Probleme bereits. Wir wissen, wohin das führt. Es kommt nicht von ungefähr, dass Gesellschaften, die ihre Frauen unterdrücken und ihnen Entscheidungen über ihr eigenes Leben und ihren eigenen Körper verweigern, entsprechend unterdrückerische und kriegerische Gesellschaften sind. Überall dort, wo wir die Freiheitsrechte von Menschen beschneiden, bringen wir Menschen hervor, die nicht freilassend denken können. Wir bringen Kinder und Pubertierende in den Körpern von Erwachsenen hervor. Im Zweifelsfall schaffen wir bestenfalls Eltern, nicht aber Frauen und Männer.
Die Entscheidung, Abtreibung grundsätzlich zu verbieten, ist eine Entscheidung für eine spezifische Form von Gesellschaft und Mindset. Sie ist nicht nur eine Entscheidung über das Leben der Frau und des ungeborenen Kindes, sondern sie ist eine grundlegende Entscheidung über ein paternalistisches, über ein Erziehungssystem, das seine Mitbürger nicht freilassend behandeln kann, sondern das übergriffig sein muss, um sich selbst zu berechtigen.
Für einen konstruktiven Abschluss möchte ich ein paar Ideen vortragen, die meiner Ansicht nach hilfreich sind, um Frauen die Chance zu geben, auf die Abtreibung zu verzichten und das Kind statt dessen auszutragen und sogar zu behalten:
1. Vollständige wirtschaftliche Absicherung.
Die Frau müsste wissen, dass nicht nur sie selbst, sondern auch ihr Kind in jeder Hinsicht so lange wirtschaftlich abgesichert ist, wie sie selbst das für sinnvoll hält. Die wirtschaftliche Absicherung muss ihr die Rechte öffnen, ihr Kind nicht in eine Kindertagesstätte zu schicken oder es einer Schule auszusetzen, die ihrer Ansicht nach der Seele des Kindes Schaden zufügt. Sie muss dem Kind eine Bildung und Potenzialentwicklung ermöglichen können, die dem Kind gemäß ist und die das Kind will, sobald es die entsprechende Entscheidung selbst fällen kann.
2. Vollständige soziale Einbindung.
Mutter und Kind müsste – so die Mutter das wünscht – ein Supportsystem zur Verfügung stehen mit Männern, Frauen, Kindern, Großeltern, Onkels und Tanten, die sie stützen, wenn sie es brauchen. Auch in der Zeit der Schwangerschaft muss der Frau auf eine nicht übergriffige Art und Weise Anschluss an eine Sozialgemeinschaft geboten werden, in der sie sich sicher fühlt und die ihr bei allen auftretenden Problemen zur Seite steht.
3. Offenere Adoptionssysteme.
Es müsste Raum für neue Familiensysteme geschaffen werden, die werdenden Müttern Möglichkeiten bieten, beides zu können: Mutter zu sein und doch ihr Leben zu leben, wie sie es geplant haben. Gesellschaft müsste damit beginnen, Mischsysteme zu denken, in denen Adoptionseltern, -väter oder -mütter, -großeltern ... mit den schwangeren Frauen zusammen leben. ...
4. Vollständige berufliche Freiheit.
Frauen, die sich dafür entscheiden, das Kind auszutragen, muss klar sein, dass sie auf nichts zu verzichten haben. Ihnen müssen auch dann noch die selben Freiheitsrechte wie Männern zugestanden werden. Ihre berufliche Zukunft und ihre kreativen Entfaltungsmöglichkeiten dürfen nicht durch eine erzwungene Entscheidung beschränkt werden. Gerade hier tun sich Probleme auf, auf die wir heute noch keine vernünftigen Antworten haben, und es ist meine tiefe Überzeugung, dass wir kein Recht dazu haben, über das Leben anderer auf eine Weise zu entscheiden, die ihr Leben in eine fremdbestimmte Richtung zwängt und ihnen ihre Lebensträume und -ziele raubt. Wir haben nicht das Recht, andere zu traumatisieren!
Diese Vorschläge zeigen, wie weit entfernt wir noch von der Freiheit sind, über dieses Thema so nachzudenken, dass wir die Konsequenzen unserer Entscheidung auch wirklich tragen können. Statt dessen maßen wir uns Entscheidungsrechte an, für deren Folgen wir nicht geradezustehen vermögen. Das Recht auf Abtreibung in einem sinnvollen und Freiheit schaffenden Rahmen steht einem Verbot gegenüber, dessen langfristige und komplexe Resultate unsere heutigen Fähigkeiten noch übersteigen. Das Verbot ist Anmaßung und massive Selbstüberschätzung, der Gedanke der Kriminalisierung dumm, weltfremd und kurzsichtig.
Und selbst wenn diese Vorschläge umgesetzt werden könnten, darf dadurch nicht das freie Recht der Frau mit ihrer Fähigkeit zu gebären eingeschränkt werden.
Frauen zu Zwangsgebärmaschinen zu machen, mag vielleicht vor zwei- oder dreitausend Jahren noch ein überlebenswichtiger Gedanke gewesen sein, aber unsere Gesellschaft verträgt kein alttestamentarisches patriarchalisches System. Strukturen von damals hätten heute fatale Auswirkungen.
Freiheit verpflichtet. Unsere technologischen Errungenschaften und unser wirtschaftlicher Wohlstand haben uns Entscheidungs- und Emanzipationsräume eröffnet, aus denen neue und komplexe Verantwortungsräume für emergente Entscheidung(smuster) in emergenten Beziehungssystemen folgen (und weiter folgen können, wenn wir wollen und uns Mühe geben). Die Komplexität unserer Zeit erfordert massives Umdenken, und eine der ersten Konsequenzen ist, von Erziehungsdenken auf Orientierungsdenken umzuschalten - und mehr noch, auf ein Denken, das sich selbst dazu herausfordert, neue Lösungen und Wege zu schaffen und nicht zuerst andere zu regulieren.
Wir können nicht zu einem System zurückkehren, in dem wir die Frau als Produzent menschlicher Arbeitskraft entmündigen. Wir müssten folglich akzeptieren, dass die Sexualität der Frau beschnitten wird und dass sie auch als Opfer sexueller Gewalt nur eingeschränkt Entscheidungsrechte über ihre eigene geistige und körperliche Gesundheit oder die ihrer Kinder hätte. Im Kontext der MeToo-Bewegung ist die Bemerkung des Papstes als fundamentale Ansage für ein System zu begreifen, das die Strukturen einer anderen Zeit zu re-etablieren versucht. Einer Zeit, in der Männer Frauen unterdrücken, in der sie Mord und Raub an Nachbarstämmen begehen, deren Frauen sie vergewaltigen und in ihren Besitz zwingen durften.
Folgerichtig zuende gedacht, hat sich der Papst für eine kriegerische Ausbeutungswelt entschieden und ausgesprochen. Dass der Papst sich ausgerechnet jetzt auf diese Weise zu diesem Thema äußert, sagt uns, wie die Katholische Kirche zu Globalisierung steht und für was für einen Gott der Papst spricht.
Die Lösungen für unsere Probleme liegen aber nicht in unserer Vergangenheit. Unsere Vergangenheit kann uns lehren, was nicht funktioniert hat. Für offene, pluralistische Gesellschaften sind Gedanken wie die des Papstes selbstgerechtes Gift. Sie führen zurück in Systeme, die wir bereits kennen und von denen wir wissen, wie neurotisch und tödlich sie sind. Wir können Globalisierung nicht einfach in die Box zurück stopfen. Versuchen wir das, bedeutet das Krieg. Das ist uns bekannt, wir haben es bereits erlebt, auch wenn einige heute versuchen, daran nicht mehr zu denken.
Die Abtreibungsfrage können wir nicht einfach von unserer gesellschaftlichen Weiterentwicklung trennen. Wer das versucht, macht es sich zu leicht. Statt dessen müssen wir damit fortfahren, konstruktive, mutige, neue Wege zu gehen. Um diese Wege gehen zu können, sind wir auf die geistige und körperliche Freiheit der Frauen der Welt angewiesen. Wir brauchen sie mit ihrem Intellekt und ihrem Gefühl. Wir benötigen ihre Weisheit und ihre emanzipierte Selbstentfaltung. Das ist keine Frage mehr nach dem ungeborenen Leben allein, sondern eine Frage nach dem Überleben der Menschheit als Ganzes.
Statt Verboten gilt es Chancen zu schaffen.
Das hier ist eine Herausforderung an unseren Intellekt, an unsere Fähigkeit, kreativ und freilassend zu denken und zu handeln. Es ist eine Angelegenheit systemischen Denkens und systemischer Klarheit. Es ist eine Angelegenheit der Vernunft und einer menschenfreundlichen Zukunft.
Nachtrag vom 13. Oktober 2018:
Ich bin von mehreren darauf angesprochen worden, dass sie ihre eigene Haltung zur Abtreibungsfrage von pro life auf pro choice umgestellt haben, nachdem sie sich mit meinen Überlegungen auseinander gesetzt haben.
Dazu möchte ich sagen: Ich freue mich darüber, denn pro choice bedeutet pro life!
Ich bin auf jeden Fall dafür, dass den Frauen Chancen und Wahlmöglichkeiten eröffnet werden und dass wir viel intensiver darüber nachdenken sollten, was wir für die Frauen tun können, damit sie sich für das Leben ihres Kindes entscheiden können.
Aber ich bin aus meiner eigenen pro life-Grundhaltung zu pro choice gekommen, weil mir beim Nachdenken über die Konsequenzen von pro life bewusst geworden ist, wie menschen- und lebensfeindlich diese Einstellung ist. Ihre langfristigen Auswirkungen nicht nur auf die geistige, körperliche und seelische Gesundheit der Frauen und Mütter, sondern auf uns alle, unsere Gesellschaft, unsere Kinder, unsere Nachbarn und Freunde, unsere Enkel - unsere gesamte Art und Weise, mit Leben und unserem Planeten an sich umzugehen - haben mich überzeugt.
Übergriffigkeit ist nicht mit den Freiheiten vereinbar, die wir uns mit Technologie und Wohlstand erarbeitet haben. Sie ist auch nicht mit der entsetzlichen Armut und dem Elend der Frauen in Einklang zu bringen, die noch nicht in den Genuss unserer Errungenschaften und freiheitlichen Sichtweisen kommen können, sondern die unter dem Druck paternalistischer und patriarchalischer Ideologien zu leiden haben. Wir sind dem Leben an sich verpflichtet, und eine solche Verpflichtung verlangt umfassender und langfristiger zu denken. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich Wohlstandsgesellschaften freiheitlicher aufstellen!
Unfreie Frauen bedeutet unfreie Gesellschaft. Unfreie Menschen unterdrücken andere. Unfreie Gesellschaften sind am Ende in Wirklichkeitsemulation nicht nur politisch und wissenschaftlich, sondern auch ökonomisch im Hintertreffen und müssen zwangsläufig Kriege führen.
Das pro life Mindset ist systemisch, oder es ist pro death.
Vielen Dank!
- [1] Reinhard Mey, Narrenschiff