Im Juli 2020 habe ich in diesem Artikel:
https://www.carl-auer.de/magazin/systemzeit/konflikte-wenn-systeme-sich-bilden
einen systemischen Konfliktbegriff entwickelt.
Ich möchte nun an einem einfachen Beispiel, nämlich der systemischen Konfliktdiskussion, zeigen, wie es gelingen kann, Sach- und Beziehungsaspekt des Konflikts auseinander zu halten.
Dafür verwende ich unsere WELTFORM-Forschung, vermittels derer möglich wird zu respezifizieren, wo vorher vermutet wurde. Mit Genauigkeit lösen wir bestehende Probleme mit dem Begriff - und damit den Konflikt auf der Sachebene auf:
Einige glauben, diese FORM tauge bereits für einen funktionierenden Konfliktbegriff:
Doch es handelt sich dabei nur um eine einfache EntscheidungsFORM: Ich wähle a im Kontext b.
Wollen wir einen Konflikt abbilden, brauchen wir mehr. Wir benötigen mindestens zwei FORMen, die versuchen sich wechselseitig auszuschließen:
Der/die/das Eine (Personengruppe, Kommunikationssystem, Organisation ...) will, dass a passiert, nicht b, der/die/das Andere will, dass b passiert, nicht a.
Oder der klassische Psychiatriepatient, der nicht entscheiden kann, ob er nun a will, nämlich mit dem Fahrstuhl hinauf fahren, oder b, die Treppe nehmen, und der in diesem Konflikt feststeckt. Beides gleichzeitig geht nicht.
"Guck mich an, nicht Dich!" "Nein, guck mich an, nicht Dich!" ...
"Nimm den Fahrstuhl, nicht die Treppe!" "Nein, nimm die Treppe, nicht den Fahrstuhl!" ...
Doch, selbst an dieser FORM kann sich erst Konflikt ausbilden, wenn das System entscheidet, sie entsprechend als Information ( -> Ereignis, das Systemzustände selegiert) zu verwerten. Dann kommt es zum Symmetrischen Konflikt, der - neben anderen FORMen komplexer Entscheidungssysteme - hier besprochen wird:
https://www.carl-auer.de/magazin/systemzeit/symmetrische-konflikte
und hier:
https://www.carl-auer.de/magazin/systemzeit/konfliktdynamiken-mit-selfis-untersuchen
Ein Konfliktbegriff, der schon bei Entscheidung beginnt, ergibt keinen Sinn, denn Konflikte müssen als Konflikte wirken.
Wir haben hiermit auf Sachebene geklärt, dass, wie und warum ein Konfliktbegriff, der schon mit Entscheiden beginnt, nicht hinreicht. Erst, wenn es zum Entscheidungsproblem kommt, FORMt System Konflikt. Entscheiden bereits als Konflikt zu thematisieren heißt, den Konflikt zu invisibilisieren. Das bedeutet, sich nicht mit dem Konflikt auseinander zu setzen. Vor der Selektion kann ich ein Entscheidungsproblem haben, aber das Entscheidungsproblem hat eine andere FORM als Entscheiden. Mit Entscheiden entscheide ich das Problem - oder anders: Wenn das Problem wegfällt, habe ich (eine) Entscheidung.
So geht wissenschaftliches Arbeiten: Tritt ein Problem, und damit Ursache für Problemlösen, auf, und löst die Problemlösung das Problem, wurde der Konflikt zwischen ursprünglichem Konzept und neuem Konzept geklärt.
Ein anderes Beispiel:
Systeme orientieren sich an ihren Umwelten. In der systemischen Diskussion wird häufig gesagt, komplexe Systeme ließen sich nicht vorherbestimmen. Das stimmt soweit, aber der Schluss, man könne deshalb nichts über sie sagen oder könne keinen Einfluss welcher Art auch immer nehmen, stimmt nicht.
Über Analyse der FORM können wir vorhersagen, wie sich System ausdifferenziert, solange keine FORMenänderung vom System als Information verwertet wird. Und da sich Systeme an ihren Umwelten orientieren, können wir Orientierung liefern, indem wir beispielsweise funktionale Änderung der FORM an sensitiven Punkten vorschlagen.
Der Schluss, man könne eh gar nichts machen, System wird sich nur an sich selbst entwickeln, heißt zu ignorieren, dass wir Orientieren nicht ausschalten können, denn das ist nun einmal, was das System tut. Umwelt von Kommunikationssystemen sind beispielsweise Psychen: Ändern sich (viele) oder aus Systemperspektive signifikante Psychen, ändert sich die Umwelt des Kommunikationssystems, und wir können erwarten, dass sich das Kommunikationssystem versuchen wird anzupassen - vorausgesetzt, die Umweltänderung ist relevant genug für das Kommunikationssystem.
Wenn ich mich in der Umwelt eines komplexen Systems befinde (als Psyche in der Umwelt von Kommunikation), kann ich versuchen, durch Änderung meiner psychischen Strukturen (Dazulernen, Umdenken usw.) das Kommunikationssystem zu orientieren und zwar derart, dass ich mir ansehe, mit welcher Selbstanpassung das Kommunikationssystem auf die Umweltveränderung reagiert, darüber Erwartungen bilde und auf der Grundlage weitere Änderungen in der Umwelt initiiere. Dann kann ich erwarten (wenn ich beobachtet habe, dass sich das Kommunikationssystem diesen Änderungen anpasst), dass es selbst Erwartungen über mögliche Umweltveränderung bilden wird. Diese strukturelle Kopplung kann ich zu Orientierungszwecken nutzen.
Die Systemänderung muss nicht positiv sein, es kann sich um Rückzugsreaktionen, Ausgrenzungsreaktionen, sogar Konfliktreaktionen handeln.
...
Indem wir auf Sachebene die FORMen und die damit verbundenen Konzepte klären, können wir auf Beziehungsebene die Frage stellen, ob wir den Konflikt dort (fort)führen möchten. Hartes wissenschaftliches Arbeiten bedeutet, die Klärung (hoffentlich irgendwann) zu akzeptieren und darauf dann weiteres Forschen aufzusetzen. Dass wir nicht mehr über Äther sprechen, wenn wir unsere physikalischen Modelle und Arbeit ernst nehmen wollen, hat damit zu tun, dass wir erkannt haben, dass Äther fürs Beobachten physikalischer Phänomene keine Rolle spielt.
Entsprechend ernst nehmen wir, dass die EntscheidungsFORM für den Konflikt nicht ausreicht.
Ob wir auf der Beziehungsebene weitermachen wollen, kann von verschiedenen Faktoren abhängen:
Es kann zum Beispiel sein, dass wir den Konflikt führen müssen, weil noch keine signifikante Menge entscheidender Personen mit der neuen Erkenntnis oder mit der Begriffsklärung mitgehen will, sondern uns statt dessen zu ignorieren versucht, so dass wir nicht umhin kommen, den Konflikt anzubieten. Oder man bietet uns den Konflikt an, und wir entscheiden, dass wir uns dem stellen müssen, wollen wir erreichen, dass die geklärte Sachebene breiter akzeptiert wird.
Oder es kann sein, dass uns die beteiligten Konfliktpartner so viel bedeuten, dass der Konflikt es wert erscheint geführt zu werden - und vielleicht, mit Fachkenntnis und Fingerspitzengefühl in eine Adjunktion überführt werden kann, so dass aus Sachperspektive sinnvoll ist mit dem Konflikt zu arbeiten.
Ebenfalls möglich ist, dass wir aus systemischer Sicht zum Schluss kommen, dass der Konflikt als soziales Event geführt werden muss, um damit etwas anderes zu erreichen, wie beispielsweise, dass wir dumme Bemerkungen hier adressieren, weil wir erreichen wollen, dass intelligenteres Beobachten dort emergiert.
...
Doch grundsätzlich gilt: Ist die Sachebene klärbar und wird sie geklärt, ist sachlich gesehen der Konflikt beendet, und die Frage taucht auf, ob und wie er auf Beziehungsebene weiter geführt werden sollte, kann oder gar muss. Was wir nicht tun sollten, ist grundsätzlich zu entscheiden, dass jeder Konflikt gelöst werden muss (das geht nämlich nicht), dass jeder Konflikt kreative Kräfte in sich trägt (das stimmt nicht, viele Konflikte sind kein Kuscheltier) oder dass Konflikte alles in allem vermeidbar wären (komplexe Systeme bringen schon aus Komplexitätsgründen Konflikte hervor). Kooperationsversuche bringen immer Konflikte hervor, Konflikte nicht notwendigerweise Kooperation.
Natürlich passiert immer wieder, dass der/die Konfliktpartner der Ansicht ist/sind, dass der Konflikt auch auf Sachebene nicht geklärt ist, aber das lässt sich in vielen Fällen - und eben, wie wir sehen konnten, auch bei Angelegenheiten komplexer Systeme - rational untersuchen, und dem Argument nicht folgen heißt nicht, es auszuhebeln. Auch, wenn eine größere Menge (hier signifikanter) Menschen dem Argument nicht folgt, heißt das nicht, dass damit das Argument ausgehebelt wird. Der Versuch auf der rhetorischen Ebene einen sachlichen Konflikt zu lösen, heißt im Zweifelsfall mit Machtmitteln gegen Fakten vorzugehen.
In solchen Fällen stellt sich die Frage, was wir damit erreichen können oder wollen, den Konflikt auf der Beziehungsebene (die Sachebene ist ja bereits erledigt, auch wenn der Andere gerade an Dunning-Kruger oder anderen Formen von Ignoranz leidet) weiterzuführen. Ein Ziel kann dann darin bestehen, den Anderen als jemanden zu entlarven, der mit Machtmitteln operiert, weil ihm Sachargumente fehlen.
Findet das vor Publikum statt, kann sich der Konflikt lohnen. Dort hilft wie ein Schachspieler zu denken und sich mit vollem Bewusstsein der vollen rhetorischen Bandbreite zu bedienen, um das Spiel zu gewinnen. Ob das allerdings sinnvoll ist, hängt von der Art des Konflikts und davon ab, was wir damit maximal erreichen können und welche Ressourcen das kostet.
So oder so:
Konflikte, die auf der Sachebene geklärt sind, müssen nicht notwendigerweise auf der Beziehungsebene fortgeführt werden, wenn der/die Konfliktpartner noch weiterspiele/n möchte/n. Die Konflikte allerdings, wo uns mit Gewalt gedroht wird, brauchen dann mehr als nur Rhetorik. Das sind die Konflikte, die wir mit äußerstem Respekt behandeln müssen, wozu auch gehört zu wissen, dass es Konflikte gibt (wie die mit Rechtsextremisten zum Beispiel), die man schon allein deshalb nicht alle führen, bzw. da mitmachen sollte, weil sie instrumentalisiert werden.
Populisten, Personengruppen, Organisationen usw., die Konflikte instrumentalisieren, müssen wir anders behandeln. Hier hat überhaupt keinen Sinn auf die Sachebene zu verweisen, weil eh jeder Versuch dafür verwendet wird, das Spiel auf der Beziehungsebene fortzuführen, und uns dort zum Beispiel, wie Trump das tut, dull drehen zu lassen. Der Weg aus solchen Konflikten geht nur über klares Aus- und Abgrenzen und totale Verweigerung am Spiel teilzunehmen. Findet das vor Publikum statt, heißen die Mittel der Wahl Diplomatie, Verachtung und Konzentration auf konstruktive Kräfte.