M O N D – Das bedeutet Wirklichkeitsemulation

Neues Spiel, neues Denk.

Es ist schon irgendwie niedlich, wenn in Zeiten,

  • in denen schon groß gewordene Kids sich locker nicht mehr nur durch neue Technologien bewegen, sondern darin denken, sprechen und handeln,  
  • in denen an einfachen Codes organisierte kommunikative Riesenwellen durch die Medien schwappen und dabei alles unterspülen, was nicht niet- und nagelfest ist,  
  • in denen jede unserer Bewegungen in den Netzen von bots analysiert und für corporate und politische Zwecke genutzt wird,  
  • in denen Künstliche Intelligenz und Robotics Arbeitsplätze übernehmen und Bionics ganze Körperteile und Organe ersetzt,  
  • in denen daran geforscht wird, wie zugängliche Teile menschlichen Denkens artifiziell erweitert werden können,
  • in denen kognitive und kommunikative Prozesse artifiziell emuliert werden können,



einige ernsthaft noch von der „nächsten Gesellschaft“ reden und ahnen, dass sich mit der Algorithmisierung so einiges verändern wird und man dafür neue Modelle und Techniken braucht …

Wo Technologieanschluss, da Wirklichkeitsemulation

Richtig: Ohne neue Begriffe und Modelle fällt die Orientierung in dem, was seit einiger Zeit hier los ist, schwer:

Es ist Emergenz passiert!

Und das bedeutet: Begriffe und Modelle müssen sie reflektieren. Das kriegt man mit Konzepten aus dem (vor)letzten Jahrhundert nicht hin.

Dazu gehören auch Überlegungen zum Unbestimmten und unklaren Formen. Darüber denken wir nämlich schon seit Dekaden nach.

Was es braucht, ist reflexiv reflektiertes Beobachten und sinnlich wahrnehmbares und operationales Beschreiben – sprich: Kybernetik 3. Ordnung mit einer für sie funktionierenden Sprache.

Nur, wenn das neue Faktische in seinen Funktionen erkannt wird, kann es anschlussfähig gemacht werden, und für dieses Erkennen braucht es entsprechende Begriffe.

„Wirklichkeitsemulation“ ist einer davon, „Wohlstandsarmut“ ein anderer. Auch „kommunikative Riesenwellen“, „Mimesis“ (Franz Friczewski), „Rhythmisierung“ (Friczewski, Peyn), „Polyvalenz“ …

Mehr noch: Für Kybernetik 3. Ordnung müssen wir lernen, synästhetisch zu denken („EinBILDungskraft“ Franz Friczewski), uns nicht mehr nur auf einen Sinn zur Beschreibung zu konzentrieren, sondern komplex integriert zu denken und zu beschreiben. Indem wir die Technologien zur Beschreibung nutzen, die uns zur Verfügung stehen, erweitern wir unseren Horizont um mehr Dimensionen. Nicht mehr nur differenzierter, sondern jetzt auch dimensionierter zu denken, das ist der Trick, mit dem wir unseren Beobachtungshorizont so erweitern können, dass wir dazu in der Lage sind, zu sehen, was der Fall ist.

Mit Unklarheit wird das nichts, es sei denn, es handelt sich um Unklarheit, die aus der Emergenz gewonnen wird und nicht um ein faules Denkspiel.

Auch mit einer aus Überlegungen zu Beschleunigung gewonnenen Reflexions- oder Resonanztheorie werden wir dieser Phänomene nicht Herr. Im Gegenteil: So schaffen wir Menschen, die nur re-agieren können, die ihr aktives Momentum verlieren. Beschleunigung ist nicht mehr das Primat unserer Zeit. Sie hat in Globalisierung mit Vernetzung, Algorithmisierung und Digitalisierung einen Emergenzsprung gemacht. Heute passieren die Dinge nonlokal, überall gleichzeitig und schwappen dann in kommunikativen Riesenwellen über uns, mit uns, durch uns. Sie können uns von den Füßen und mitreißen, und das auch noch, wenn wir darüber nachdenken, wie das in uns resoniert.  

Wir müssen lernen, uns selbst und unsere Umwelten in komplexen Re-entry-FORMen zu denken. Achtsamkeit und Reflexion sind wichtig, ja, aber es müssen Formen von Achtsamkeit und Reflexion sein, die sich in Begriffsrahmen zu bewegen verstehen, die gleich mehrdimensional, multipel, komplex angelegt sind. Mit „Zurück zur Natur“ wird das hier nichts.

„Thinking without a box“ (European School of Governance):

Es gilt, das Gehirn leer zu machen, und komplett neu durchzustarten, den Resetknopf jedes Mal zu drücken, wenn wir uns gedanklich oder kommunikativ in den Versuch einer Verortung des Phänomens im kulturellen Prozess begeben – und danach kann es sinnvoll sein, den Resetknopf ein weiteres Mal zu drücken, um nicht in confirmation bias zu fallen. Uns muss klar werden, dass wir diese Verortung sehr wahrscheinlich im (vor)letzten Jahrhundert vornehmen werden, wenn wir uns nicht vor Augen führen, dass wir nicht wissen, was hier gerade los ist. Nur, wenn wir akzeptieren, dass wir es nicht wissen, haben wir eine Chance dazu, genauer hinzusehen.

Wohlstandsarmut ist ein gutes Beispiel dafür. Es gibt kaum jemanden, der über dieses Phänomen nachdenkt, geschweige denn, ein Wort dafür hat. Fehlt das Wort, fehlt das Phänomen, und wenn das Phänomen fehlt, sind wir dazu verurteilt, das, was übrig bleibt, mit Worten zu beschreiben, die wir schon haben. Wer allerdings ein Wort dafür hat, dem fällt auf, wie absurd es ist zu versuchen, Leistungsempfänger im letzten Jahrhundert zu pädagogisieren, sie zurechtzufeilen für den Markt, sie zu „motivieren, ihre Alternativen auszuloten“, sie mit der Aufforderung zur Selbstausbeutung in Burnout und Depression zu treiben.

Dann können wir vielmehr erkennen, dass hier gerade ein gewaltiges kreatives Potenzial frei geworden ist und dass der Begriff „Wohlstandsarmut“ mehr meint, als nur Leistungsempfänger, von denen wir nicht wissen, wohin wir mit ihnen sollen. Er meint dann nämlich auch die Armut des Geistes, mit dem gewonnenen Wohlstand umzugehen, die Armut der Gesellschaft, den Schritt aus der Erkenntnis zu machen, dass Wohlstand verpflichtet und zwar zu Lernen, zu Kreativität, zu Erfüllung im Leben und dazu, jenen zu helfen, die schwächer sind. Die kooperative Komponente ist ein wichtiges konstitutives Moment unserer Gesellschaft. Es würde sie so nicht geben, hätten wir damit nicht angefangen. Wohlstandsarmut bedeutet auch, dass wir vergessen, wie das geht. Sich um andere zu sorgen, lässt sich in der archäologischen Aufzeichnung nachvollziehen. Heute stehen wir im prall gefüllten Supermarkt und sehen einer jungen Familie, die vor uns zu uns geflohen ist, dabei zu, dass ihre Karte nicht funktioniert, niemand greift ein, und die Kassiererinnen reformulieren das Problem augenblicklich in „jetzt müssen wir alles zurück in die Regale packen“, ohne dass (oder damit) ihnen die brutale Absurdität der ganzen Situation (nicht) bewusst wird.

Ein anderes gutes Beispiel ist Völkerwanderung oder Massenmigration. Wenn wir es „Flüchtlingswellen“ nennen, fehlt uns der Re-entry. Wir können nicht erkennen, was es mit uns zu tun hat, wie wir Jahrzehnte die Welt ausgesperrt und uns an ihr satt gegessen haben und wie jetzt die Mauern bröckeln und die Welt zu uns kommt und uns um Hilfe bittet wegen dem, was wir ihr angetan haben. Wenn wir sie „Flüchtlinge“ nennen, übersehen wir, dass ihre Armut, ihr Elend ein Wohlstandsphänomen ist, das sich auf unserer Kostenrechnung befindet und das wir lernen müssen zu integrieren. Diese Menschen flüchten vor uns zu uns, und einigen von uns fällt nichts anderes dazu ein, als erneut Mauern zu bauen? Wir haben ihnen doch keine andere Wahl gelassen, als zu uns zu flüchten. Nur, wenn wir es als eine große, langsam arbeitende, sich aber jetzt beschleunigende, komplexe Riesenwelle begreifen, die ihren Ursprung in einem, Weltwohlstand betreffend(en), dysfunktionalen Denken und Handeln hat, können wir adäquat aus ihr lernen und uns mit ihr verändern. Tun wir das nicht, versteinern wir, werden wir von ihr verschlungen.

Die in verstaubten Bücherstuben beschworene „nächste Gesellschaft“ ist längst da. Wirklichkeitsemulation ist Realität. Die kommunikativen Riesenwellen sind Realität. Und die Menschen fangen an sich zu verändern. Aber wir sind noch viel zu langsam. Mehr noch, was Probleme wie den Klimawandel angeht, wird es sogar schlimmer mit uns, weil wir als Menschheit dabei sind, Wohlstand zu globalisieren.

Das ist etwas Gutes, ohne Frage, aber es kommt mit hohen Preisen, und um dem effizient zu begegnen, müssen wir be-greifen, dass wir in eine neue, eine andere Ära eingetreten sind. Emergenz ist real. Sie begegnet uns überall. Wir werden ihr gerecht, indem wir – genauso wie damals, als wir von Städtebildung in Industrialisierung eingetreten sind – uns komplett neu aufstellen.  

Die Fähigkeiten, die wir heute brauchen, können wir bereits beschreiben. Franz Friczewski spricht von „Kybernetik oder Beobachtung 3. Ordnung“. Das ist sicherlich ein hilfreicher Begriff, weil er an bereits Bekanntes anschließt. Diejenigen, die meinen, dass es so etwas nicht braucht, weil diese Form der Beobachtung und Kybernetik angeblich in der 2. Ordnung enthalten ist, übersehen, dass der Großteil der zivilisierten Menschheit diese Beobachtung 3. Ordnung nicht bewusst kann. Wir reden über Evolution!

Zu einer solchen Beobachtung gehören Sprachgründlichkeit und Sprachbewusstheit. Dazu gehört, Injunktionen folgen zu können. Dazu gehört open focus und Konzentration – und zwar gleichzeitig.  

Wer nicht operativ und sinnlich wahrnehmbar beschreiben kann, der kann die Tatsächlichkeiten, die ihm passieren, nicht fassen. Viele können/wollen nicht nur den Injunktionen anderer nicht folgen, sondern auch ihren eigenen nicht, und sie können die Injunktionen, die sie zwangsläufig anderen geben, selbst nicht begreifen. Mit “Draw a distinction” (George Spencer Brown) können die meisten in Tiefe und Zwang der Bedeutung dieser Injunktion nichts anfangen. Die Diskussion darüber, wie wichtig Kontingenz- und Komplexitätsbewusstsein sind, führen wir seit der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts. Da ist nichts Neues mehr dran. Denken in komplexen Re-entry-FORMen integriert das und führt darüber hinaus, indem emergent Bewusstheit für das geschaffen wird, was der Fall ist. Die konkrete, komplexe Analyse muss gekonnt werden, und sie muss in der Emergenz gekonnt werden.

Machen wir uns bitte klar: Wir sind schon mitten drin, aber wir haben die Sprache dafür noch nicht und mit ihr das entsprechende Bewusstsein. Beide müssen die Eindimensionalität verlassen und nicht nur den einfachen Code. Die Menschen werden von den kommunikativen Riesenwellen weggespült und in den Netzen zu Monstern, weil es ihnen an diesem Denken fehlt: Sie stehen ihnen komplett unbewaffnet gegenüber.

Das können wir nicht nur ändern, das müssen wir ändern!