Lüchower Interpretation der Systemmechanik

von Gitta und Ralf Peyn

Am 23./24. … März 2018 entspinnt sich im Blog

„Formen – Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen“ mit dem Untertitel: „Freie Assoziationen / Anmerkungen / und so weiter“

ein freundschaftlicher Streit zwischen uns und Fritz B. Simon (zum Kapitel 18 „Leben und Leben voraussetzende Systeme“ des Buches „Formen – Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen“ von Fritz B. Simon) um die Frage, warum Kritik an und Weiterentwicklungen der Laws of Form von George Spencer Brown durch Ralf Peyn in uFORM iFORM von Fritz B. Simon in seinem Buch unerwähnt bleiben, obwohl Fritz B. Simon in seinem Vorwort und im weiteren Verlauf des „Formen“-Buches Bezug auf die Laws of Form nimmt, Teile der Logik aus den Laws of Form verwendet und auch eine Form der Formen, die Ralf Peyn in uFORM iFORM u. a. zum Gegenstand seiner kritischen und weiterentwickelnden Untersuchungen macht.

Im Verlauf dieses Streits stellt Fritz B. Simon folgende Behauptung auf:

Kommentar 26 FBS: Was Ihr macht, ist: Systemdynamiken zu simulieren. Schön und gut. Aber damit könnt Ihr nicht die Dynamik der Kopplung der Dynamiken autonomer (strukturdeterminierter) Systeme erfassen. Mir scheint, Ihr geht davon aus, dass eine deterministische Beziehung zwischen den Dynamiken der gekoppelten Systeme besteht.

Wir haben in Kommentar 33 (und vorhergehenden Kommentaren), der im Folgenden in reduzierter Form nachgelesen werden kann, grundlegende Überlegungen der Lüchower Interpretation der Systemmechanik beschrieben.

Problemfokus:

Was sind die Risiken, die einem daraus erwachsen, wenn man sich bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf “gesicherte Grundlagen” stützt, obwohl man weiß und nicht angibt, dass diese in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion kritisch diskutiert werden, widerlegt oder zum Teil widerlegt und weiterentwickelt worden sind – obwohl man weiß und nicht angibt, dass die laufende wissenschaftliche Diskussion ein grundlegendes Umdenken hinsichtlich dieser vermeintlich gesicherten Konzepte erforderlich machen wird?

Wenn die Geisteswissenschaft (sich) so verfährt, sendet das unmissverständlich die Botschaft aus, dass Geisteswissenschaft nicht ernst genommen werden kann und will und gedankliche und kommunikative Modelle ja nicht so wichtig sind.

In den Naturwissenschaften, ganz besonders in der Physik, und auch in der Medizin, in der Informatik, wie ebenfalls in der Mathematik regulieren Interesse an Vermeidung von unnötigem Zeit- und Energieverlust, von unnötigen menschlichen, wirtschaftlichen und sozialen Kosten, sowie die Motivation zu wissenschaftlicher Härte die temporeiche Anpassung an Weiterentwicklungen. Mediziner, Ingenieure, Physiker, Genforscher, Ernährungswissenschaftler, Elektrotechniker, Mathematiker, KI-Entwickler … können sich nicht leisten, sie betreffende Weiterentwicklungen in ihren Veröffentlichungen zu ignorieren. Sollte das nicht auch für die Geisteswissenschaft gelten, wenn sie sich wissenschaftliche Härte aus Naturwissenschaft, Medizin, Informatik, Physik oder Mathematik einkauft und darauf (Teile) ihre(r) Modelle aufsetzt? Oder kann sie einfach würfeln und nach Interesse entscheiden, wann sie sich anschlussfähig hält und wann nicht, wann sie Weiterentwicklungen integriert und wann sie sie ignoriert und Kollegen, Lesern, Anwendern, Forschern die bekannte und relevante Information nicht mitliefert?

Wenn du denkst, dass du was Wichtigeres zu tun hast, als deinem Kind zu erklären, dass es bei Rot nicht über die Straße gehen darf, und das Kind dann von einem Auto überfahren wird, weil es dies nicht wissend bei Rot geht, dann erlebst du, welchen Impact Geisteswissenschaft haben kann, die sich selbst nicht ernst nimmt.

Reduzierter Kommentar 33 zur Lüchower Interpretation der Systemmechanik

@26FBS Wir hatten diese Diskussion vor eineinhalb Jahren schon einmal. Sieht so aus, als konntest Du da nicht folgen.
Ich muss weiter ausholen, damit das Ausmaß unserer Forschung und Arbeit dieses Mal klar wird.

(Anmerkung vom 31.03.2018: Besagte Diskussion wurde zwischen Dirk Baecker, Fritz B. Simon und uns geführt, als Beitrag zur Klärung hat Ralf Peyn uFORM iFORM konstruiert und veröffentlicht.)

Wir schlagen grundsätzlich strukturellen Wandel vor.

Wir operieren nach der Maßgabe, dass Unbestimmtes als eine (gemeinsam mit weiteren) konstitutive Komponente in unserem Universum fungiert. Unbestimmtheit ist keine Gedankenspielerei. Mit derselben Zwangsläufigkeit, mit der Du Dir einen funkst, wenn Du in die angeschlossene Steckdose fasst, wird das Unbestimmte vom Universum zustande gebracht.

Unbestimmtheit führt zu Härte unserer Wirklichkeit. Unbestimmtheit kann Systeme beenden, aber Systeme konstituieren sich in Unbestimmtheit und versuchen, sich in Unbestimmtheit per Erwartungsbildung zu orientieren.

Wir verwenden das physikalische Modell, weil es sich als Beispiel eignet und unsere Welt ganz anders aussähe, hätten wir ein anderes. Es ist gut brauchbar, um Materie zu erklären beziehungsweise fundamentale Konstruktionsprozesse, fundamentale Konstitution. Wären sie anders, könnte Dein Computer, könnten die Glasfaserkabel, die Dir den Internetzugang ermöglichen, einfach plopp verschwinden.

Am Boden des jetzigen bekannten physikalischen Modells, um das einfach auszudrücken, ist eine grundlegende Diskretheit. Wenn wir uns ein Atom vorstellen, und viele haben wahrscheinlich das Bohrsche Atommodell gelernt, dann stellen wir uns Elektronen vor, die sich um einen Nukleus drehen, und zwischen den Bahnen dieser Elektronen leeren Raum.

Dieses Modell ist falsch.

Dieser leere Raum, der existiert nicht. Zwischen den Bahnen ist kein Raum. Da ist einfach nichts. Und diese physikalischen Minisysteme, die ziehen erst Raum und Zeit auf. So, populär beschrieben, ist das die unterste Schicht der physikalischen Wirklichkeit, in der wir leben. Es ist natürlich nur ein Beschreibungsmodell, aber es ist Quatsch, sich den beschreibenden Orientierungen dieser Form von Erwartungsbildung zu entziehen.

Diese Diskretheit sollte man auf keinen Fall mit Determinismus verwechseln, denn die Abläufe in diesem atomaren/subatomaren Raum, so handhabt man das zumindest momentan rechnerisch, folgen Gesetzen von Wahrscheinlichkeitstheorie und Informationstheorie.

Auf dieser Diskretheit aufsetzend entstehen Systeme, die in ihrer Entwicklung nicht einfach vorhersagbar sind … non-deterministische Systeme.

Die Struktur dieses Universums hat eine Unbestimmtheit mit eingebaut (nach Heisenbergs Unschärferelation), die sichtbar wird, wenn wir versuchen, das Universum im Kleinsten zu messen, weil wir letzten Endes das Universum mit sich selbst messen müssen.

Wir schießen elektromagnetische Schwingungen oder elektromagnetische Teilchen aufeinander, um sie zu messen, und dabei wird eine ganz grundlegende Unbestimmtheit sichtbar. Sie wird auch nicht geändert werden können. Sie wird nicht irgendwann aufgelöst werden können.

Das Problem ist folgendes: Du kannst dieser physikalischen Welt aus zwei Richtungen Fragen stellen: Du kannst sie aus der Teilchenrichtung stellen, dann bekommst Du Teilchenantworten, Du kannst sie aus der Wellenrichtung stellen, dann bekommst Du Wellenantworten. Beides ziemlich konkret! Nur, Du kannst keine Frage stellen aus der Wellenteilchenrichtung. Wenn Du das tust, bekommst Du Antworten, die immer schwammiger werden. Auch da wird die Unbestimmtheit sichtbar. Diese Unbestimmtheit ist aber kein Fehler des Universums, sondern ist genauso wie eine Markierung oder die Leere, das Nicht-Vorhandensein, eine konstitutive Komponente.

Und auf dem Zusammenspiel solcher Faktoren bauen sich komplexe Systeme auf, die immer unvorhersehbarer werden. Wenn wir solche Systeme befragen (und, wie gesagt, ich verwende das physikalische Modell nur als Beispiel, es ist übertragbar auf andere Sichtweisen) und versuchen, Informationen über physikalische Systeme, Kommunikationssysteme oder Psychen und so weiter zu gewinnen, wenn wir versuchen, Ordnung in das System hineinzubringen, erzeugen wir umso mehr Unordnung und umso mehr Desinformation.

Das ist mit Knappheit vergleichbar: Überfluss wird zum Preis der Knappheit an anderer Stelle gewonnen. Information und Struktur wird gewonnen zum Preis wachsender Entropie. Es sieht momentan so aus, dass das irreversibel ist.

Aufsetzend auf solchen Systemen ist Bewusstsein entstanden.

Bewusstsein nun besitzt die Fähigkeit, sich über diese Diskretheit hinwegzusetzen. Die Vorstellung ermöglicht uns, ein Kontinuum und wenn wir wollen auch kontinierlichen Raum zu erzeugen. Wir konstruieren das auf Basis von Diskretheit. Kontinuität dient dem Bewusstsein als Orientierungsinstrument in seiner Welt.

Wenn man gedankliche Experimente betreibt, stellt man fest, dass auch in diesem Rahmen des Bewusstseins Unentscheidbarkeiten entstehen, selbst wenn man versucht, komplexe gedankliche Systeme zu konstruieren, die versuchen genau dieses Problem zu umgehen. Wie das genau funktioniert, kann man bei Gödel nachlesen. Der Versuch etwas auf Unabänderliches festzunageln ist zum Scheitern verurteilt, weil man genau damit wieder neue Unentscheidbarkeiten hervorbringt.

Ralf hat in uFORM iFORM ausgearbeitet, wie man selbst aus erkenntnislogischen Konzeptionen zur Unbestimmtheit gelangt, also auch im Denken, in Sozialsystemen, in Sinnsystemen, in Handlungssystemen, in Informationssystemen, in Entscheidungssystemen … Auch dort bekommt man sie nicht raus. Und dann ist Ralf noch einen Schritt weiter gegangen und hat gezeigt, wie, wenn man versucht diese Unbestimmtheit zu fokussieren, imaginäre FORMen daraus entstehen. Und in SelFis zeigt Ralf, wie diese vier Komponenten Leere, Markierung, Unbestimmtheit und Imaginäres in Wechselwirkung Systemstrukturen hervorbringen.

In den SelFis kann man sich ansehen, wie sich diese Komponenten entfalten, wie sie erforderlich sind, das eine für das andere und wie sie sich umeinander entspinnen.

Zum Determinismus und zum Punkt Autopoiese: Evolution ist nur dann möglich, wenn man Unentscheidbares entscheidet. Systeme, autopoietische Systeme, bilden sich, weil sie sich auf der basalen Ebene den Zugang zu sich selbst verwehren. So konstituieren sie ihre Elemente. Wenn sie versuchen, die Elemente aufzumachen, gehen sie kaputt.

Und diese innere Unzugänglichkeit des Systems für sich selbst auf der Inhaltsebene der Elemente macht es dem System überhaupt erst möglich, sich zu relationieren und eine sich sich selbst anpassende Grenze zur Umwelt auszubilden. Wenn Systeme sich nicht bestimmen, dann entstehen keine Systeme. Und das heißt, sie können sich auch nicht verändern.

Der Gedanke, uns Determinismus „vorzuwerfen“, ist insofern auch absurd, weil einige der SelFis, und zwar die mit universellen Eigenschaften, non-deterministisch sind. Das bedeutet, man kann nicht von außen (außer man weiß es natürlich und hat es schon ausprobiert) genau vorhersagen, wie sich das System entwickeln wird. Nur das System selber kann sich selbst hervorbringen und das heißt, es kann sich nur selber genau ausrechnen, und das wiederum heißt, man muss es laufen lassen, damit man weiß, was passiert.

Und nun sollte man aufmerksam werden, weil das genau Kennzeichen und Merkmal von autopoietischen Systemen ist.

Was man von ihnen sieht, ist immer nur ein kleiner Ausschnitt ihrer Entwicklungshistorie. Viele der SelFis sind in ihren Entwicklungsmöglichkeiten riesig, so riesig, dass all die Zeit im Universum, auch des kommenden Universums, möglicherweise nicht ausreicht, sie einmal vollständig ablaufen zu lassen.

Das Modell, das Spencer Brown verwendet und mit dem auch Du arbeitest, ist deterministisch. Es ist sogar noch weiteres: Es ist nach Spencer Browns eigener Behauptung vollständig. Spencer Brown versucht einen Vollständigkeitsbeweis zu erbringen, der übrigens nicht funktioniert, was aber egal ist, da man die Vollständigkeit eines Kalküls, derart wie Spencer Brown es formuliert hat, auch anders beweisen kann und solche Beweise an anderer Stelle bereits erbracht wurden. Also ist das Ding vollständig, also arbeitest Du selbst mit einem deterministischen Modell. Ralf benutzt das Modell in uFORM iFORM auch partiell, aber er konstruiert mit dem Modell non-deterministische Systeme …
Ich hoffe, dass diese Erläuterungen dabei behilflich sind, diesmal anhaltend geklärt zu haben, dass wir mit vier FORMen rechnen: unbestimmten, imaginären, bestimmten und leeren.

Ich hatte im Kommentar zuvor geklärt, dass wir auch strukturelle Kopplung als SelFi laufen lassen können (und so helfen, die Einbildung des Beobachters zu erhellen). Damit sollte Deine Frage beantwortet sein.