Konflikte werden nicht weniger, indem man sie unterdrückt. Sie werden auch nicht weniger, indem man behauptet, sie tragen immer kreative Kraft. Konflikte müssen wir ernst nehmen - so ernst, dass wir lernen sie zu respektieren, ihr Auftreten unter allen Umständen erwarten, etwas entspannter (aber keineswegs zu entspannt oder pseudoentspannt oder gar gleichgültig) mit ihnen umzugehen üben und ihnen nicht ausweichen. Komplexität bedeutet Konflikte. Kooperation ist die Mutter des Konflikts, nicht zwangsläufig umgekehrt.
Viele denken, Vertrauen sei das beste Fundament für Konflikte, die die Beziehungen nicht mehr zerstören. Doch Vertrauen ist eine Erwartungshaltung und Vertrauen funktioniert paradox, was bedeutet: Es wird gebrochen. Wer auf Vertrauen und vertrauensfördernde Maßnahmen setzt anstatt auf Konfliktresilienz und Konfliktkompetenz, landet nicht nur in Marketing, sondern in verlustaversiven Systemen, da durch solche Maßnahmen am Ende die am wenigsten resilienten Mitglieder der Teams, der Organisationen und Gesellschaft darüber bestimmen, was geht und was nicht.
Nicht ganz falsch (aber schlussendlich dann doch wieder zum Problem werdend) ist der Gedanke, dass Beziehungen, die auf wechselseitiges Vertrauen aufbauen, auch dann noch miteinander arbeiten, leben, umgehen können, wenn das Vertrauen gebrochen wurde, weil wir nur jenen vertrauen können, wo Zusammenarbeit nach Vertrauensbruch möglich ist. Doch damit kommt ein Vertrauensspiel, das Kooperations- und Konflikterwartung einfordert.
Vertrauen funktioniert nicht als Basis für Kooperation, im Gegenteil: Der Trickser setzt auf Vertrauen. Vertrauen funktioniert deshalb so gut als Marketingprojekt, weil es sich so gut zum Trickser-Programm eignet, Menschen über den Tisch zu ziehen, die nicht wissen, dass sie weder sich noch anderen vertrauen können, dass ihr Vertrauen in sich selbst und in andere immer gebrochen werden wird.
"Vertrau mir!" ist die Aussage des Con-Artists, der Menschen ausbeutet, die nicht wissen, wie Komplexität funktioniert. "Vertrau mir!" heißt das Programm der Marketing-Branche einer Wirtschaft, die auf Ausbeutung setzt.
"Ich vertraue Dir nicht! Beweise mir, dass ich Dir vertrauen kann!" heißen die Werbespiele der Anstrengungsverweigerer, der Daueremotionalisierten, der Wutbürger und Lernblockierer, die mit ihren Machtspielen Opportunisten durch postmodernen Treibsand schleifen.
Und "Mir kann man ja nicht vertrauen!" hören wir von jenen, die ihre paradoxen Interventionen gnadenlos zum eigenen Macht- und Wirtschaftsvorteil auf die Leichtgläubigen loslassen, die hoffen, nun auf einen besonders vertrauenswürdigen Menschen gestoßen zu sein - ein Werbespiel perfider Intelligenz, das über die damit verbundenen Statusspiele cliquen-, sogar sektenartige Selbstorganisation anstoßen kann.
Wer in Sachen Konflikte auf Vertrauen setzt, setzt auf innovationsfeindliche, verlustaversive Weichspül- und brutale Ausgrenzungsmaschinen, die am Ende mit gewaltigem Konfliktpotenzial aus tausend verschiedenen Richtungen kommen über Menschen, die nicht mehr bereit dazu sind Verantwortung für ihre eigenen Entscheidungen zu übernehmen und die Abhängigkeiten einfordern.
Auch Sozialprogramme, die zuerst und vor allem auf Gemeinschaftlichkeit setzen, funktionieren nicht so, wie wir sie heute brauchen, weil sie zwangsläufig ausgerechnet die Individuen unterdrücken und ausgrenzen, die die kreativen, ungewöhnlichen Innovationen anstoßen können, denn in "Wir" vor "Ich" (https://gitta-peyn.de/vom-ich-zum-wir-eine-perspektive-mit-drawbacks/) wirkt Homogenisierung als Konditionierungsprogramm.
Der holländische und dänische Sozialgedanke geht nur solange gut, wie Innovation (die auf kraftvolle, auch mal unflexible und störrische Individuen angewiesen ist, die sich dem Team verweigern können) nicht am gemütlichen Dauer-Lagerfeuer-Abend durch lauter dauerkooperative Leute und Dauer-Homogenisierung unterdrückt wird.
Man kann im besten Miteinander eine Menge zerstörerische Kraft akkumulieren!
Konflikte fordern in Wirklichkeitsemulation multiresiliente (Fathi, 2020) Individuen und Gesellschaft heraus.
Selbstbewusste Menschen, die dazu in der Lage sind sich selbst nicht zu vertrauen und die auch von anderen nicht erwarten, dass sie ihnen vertrauen müssen und umgekehrt, sind die Antwort auf all die sozialen Konflikte, die uns augenblicklich daran hindern die Metakrisen anzupacken.
Und dazu gehört nun einmal Konzeptarbeit.
Kooperationssysteme, die in ihren internen Umwelten Kooperation, Verstehen, Meinen erwarten, zeigen zuerst sehr interessante Orientierungsversuche, die dann aber schnell in Monotonie absaufen. Gutes Zuhören allein reicht nicht, gutes Mitteilen und geklärtes Meinen muss ebenfalls gelernt werden. Nur Systeme, die in ihren internen Umwelten Meinen, Mitteilen und Verstehen erwarten, sind langfristig als Kooperationssysteme kreativ und überlebensfähig. Doch solche Systeme erwarten auch Konflikte, Missverständnisse, Vertrauensbrüche, Anstrengung und Arbeit. Zu ihnen kann gehören, damit umzugehen zu lernen, dass manche Konflikte nicht nur nie bewältigt werden können, sondern für die sie umgebenden Systeme auch dann noch wichtig und entwicklungsfördernd wirken, wenn sich die an ihnen beteiligten Menschen unwohl dabei fühlen. In solchen Fällen gilt dann den Menschen Angebote zu machen, damit leben zu können, sich auch mal unwohl zu fühlen. Wir dürfen hier Erwachsene adressieren, denen wir zumuten, dass richtige Boote nun einmal schwanken (Frank Herbert, 1984).