Klimawandel - ein systemisches Problem
Die einfachste Art "System" zu sagen ist: Relationen.
Es bedeutet, dass etwas als Ganzes zusammen wirkt. Verändern wir an einer Stelle, hat das Auswirkungen an anderen, und je komplexer das System ist, desto unvorhersagbarer diese Auswirkungen, bis wir bei komplexen autopoietischen (selbstbezüglichen, selbsterhaltenden, selbsterschaffenden) Systemen angekommen sind, die nicht mehr punktuell, sondern höchstens generell vorhersagbar sind, und in denen minimalste Änderungen große Auswirkungen haben können.
"Komplex" bedeutet, dass wir nicht alle Elemente einer Angelegenheit gleichzeitig mit allen anderen verbinden können. Das wiederum ist letzten Endes auch eine Konsequenz aus unserer eigenen Komplexität (beschränkten Sicht, unserer Modellkonstruktion, unserer Weltanschauung und Ideologie, unseres Wissens, unserer emotionalen Fähigkeiten, unserer kommunikativen Kompetenz und vieler anderer Faktoren).
Die beiden folgenden Bilder zeigen zwei einander noch recht nahe liegende FORMen von Entscheidungssystemen (wie menschlicher Kognition und Kommunikation), die als artifiziell emulierte Systeme laufen und die sich, wie man deutlich sehen kann, sehr unterschiedlich ausdifferenzieren. (Mehr zu diesem Thema auf www.uformiform.info und in meinem Systemzeit-Blog: https://www.carl-auer-akademie.com/blogs/systemzeit)
Ausschnitt SelFi "Slit":
Ausschnitt SelFi "CoOneAnother":
Die physikalischen Ursachen des Klimawandels mögen noch verhältnismäßig überschaubar sein, die sozialen (und damit die wirtschaftlichen, die kommunikativen, die menschlichen, die emotionalen, die politischen, die internationalen ...) sind es aber nicht.
Politiker haben in modernen Demokratien keine so großen Handlungsräume, wie Viele sich das denken - daher die Diskrepanz zwischen Wahlversprechen und politischer Realität.
Mit Großunternehmen kann man nicht einfach so kommunizieren. Internationale Handelsverträge und Marktkonkurrenz verkomplexen und verkomplizieren Gesprächs-, Vereinbarungs- und Verhandlungsmöglichkeiten und -konsequenzen.
Die kommunikativen Riesenwellen in Wirklichkeitsemulation verlangsamen noch einmal unsere Handlungseffizienz - und vielenteils wirken sie deutlich einschränkend auf das individuelle Denkvermögen ...
Das Beispiel Kevin Kühnert (mit seinen Vorschlägen z. B. BMW zu kollektivieren) hat in den letzten Tagen eindrücklich gezeigt, wie komplex, teilweise extrem und ressourcen- und zeitintensiv schon kleine Vorschläge wirken, welche gewaltigen Energien sie verschlingen können – auch wenn Viele meinen werden, dass ihre eigene Haltung dazu sehr einfach ist.
Ja, auf einfacher, direkter Wirkebene besehen, sind die Verursacher des Klimawandels leicht zu lokalisieren. Wenn es dann aber darum geht, ihnen Handschellen anzulegen, haben Viele sehr gute, sehr einfache Vorschläge, die gesamtgesellschaftlich aber keineswegs folgenlos daherkommen und deren Folgen sogar schlimmer sein könnten als das, was wir jetzt schon halbwegs absehen können.
Hier kommt unser Mindset ins Spiel, unsere Tendenz, von der Sachebene auf die Beziehungsebene zu wechseln und zum Beispiel nicht mehr über Klima und Folgen zu sprechen und was wir tun können, um effizient zu wirken, sondern statt dessen darüber, dass Greta Thunberg jung ist oder sich als Autistin nicht verteidigen muss oder was uns sonst gerade einfällt, um unsere Zeit in symmetrischen Konflikten zu strukturieren, anstatt direkt zu handeln und konstruktiv zu wirken.
So gut alles gemeint ist: Wenn wir uns nicht klar machen, womit wir es insgesamt zu tun haben, können die besten Absichten dazu führen, dass sich nicht nur gar nichts bewegt, sondern dass alles nur noch schlimmer wird. Die letzten vierzig Jahre haben das bereits gezeigt. Es wurde immer über das Klimaproblem geredet, Veränderungen wurden initiiert, aber dieses Gerede hat am Ende an den Messergebnissen nichts geändert, es hat die Situation sogar noch verschlimmert und hat selbst Klimaprobleme produziert (die Leute, die darüber geredet haben, sind mit Flugzeugen durch die Welt geflogen, Telefonleitungen, Strom wurde genutzt und so weiter). Die Gesellschaft hat es geschafft, die Problematisierung des Klimawandels selbst zur negativen Auswirkung in Sachen Klimawandel zu machen.
Es mag der Eindruck entstehen, dass ich versuche zu relativieren, dass und wie die Großen in ihrer Verantwortlichkeit angesprochen werden können. Doch das Problem ist: Wenn wir nicht wissen, wie wir die Großen, die Corporations, die vermeintlich mächtigen Personen ansprechen können, dann werden wir sie auch nicht erreichen.
Wir haben eine Vorstellung von ihnen, und die versuchen wir anzusprechen, nur:
Da ist nichts. Wir müssen erst jemanden finden, der zuhört. BMW hat keine Ohren.
Dasselbe gilt für die Personen. Personen sind der Versuch der Gesellschaft, gesellschaftliche Phänomene zusammenzufassen, um auf diese Art und Weise auf spezifische Teile ihrer Umwelt zu verweisen, z. B. auf einzelne Psychen. Aber, das ist nur der Versuch der Gesellschaft. Es gibt keine Sicherheit dafür, dass darauf auch Psychen reagieren. Erreichen wir tatsächlich die Umwelt von Gesellschaft? Darüber müssen wir nachdenken – und darüber, wie wir das hinbekommen können.
Durch einfaches Schreien in den Wald werden wir die Situation höchstwahrscheinlich sogar noch verschlimmern.
Wir könnten denken, wir schreien ja so laut, dass nun etwas aufhören muss, aber es ändert sich nichts. Mehr noch, mit unserem Schreien können wir nicht nur wertvolle Zeit und Energie verschwenden, es lässt sich damit sogar noch Geld verdienen. Das Geschrei muss schließlich transportiert werden, und es können damit Produkte geschaffen und verkauft werden, die uns gute Gefühle vermitteln, während es mit dem Klima weiter bergab geht. Auch die Medien müssen sich nicht dafür interessieren, dass das, was sie aufgreifen, funktional für das Problem wirkt. Dort geht es nur darum, dass sich Leser, Zuhörer, Zuschauer dafür interessieren, dass es in den kommunikativen Riesenwellen weiter getragen wird.
Wir können große Statements schaffen, für die wir wochenlang oder noch länger schreien. Länder können den Klimanotstand ausrufen, und wieder können wir uns gut fühlen, weil wir denken, wir hätten etwas erreicht, während gleichzeitig weltweit der CO2-Index weiter steigt und sogar mehr noch, unser Schreien auf den Weltmärkten die Unternehmen, die derzeit unseren Wohlstand zu signifikanten Teilen mit tragen, verlieren, weil Märkte heutzutage Krisen einpreisen und unsere Sicherheit, dass wir etwas ändern müssen, global Unsicherheit schaffen könnte.
Protest ist immens wichtig, und was ich hier sage heißt nicht, dass Protest nichts bringt, aber wir müssen wissen, was wir tun. Protest muss sich organisieren und konkrete Stoßrichtungen entwickeln. Hier können wir auch nicht nur in Phalanxen denken, sondern müssen mit unterschiedlichen Ansätzen mit unterschiedlichen Greifarmen vorgehen. Mit nur einer Stoßrichtung werden wir bei solch einem komplexen und längst immunisierten System nicht sonderlich viel erreichen.
„Es ist komplex“ bedeutet nicht, dass wir nichts tun können, aber wenn wir nicht erkennen, dass und wie unser eigenes So-Sein, unsere politische Sicht, die Art und Weise, wie wir politische Probleme handhaben, mit Teil des Problems ist, wenn wir Beziehungsspiele Sachinformationen vorziehen und damit Unmengen an Energie und Zeit vertun, werden wir die Probleme nicht nur nicht lösen können, es ist sogar wahrscheinlich, dass wir in unserem Bemühen um die Verringerung unseres CO2-Ausstoßes noch schneller in Richtung point of no return driften.
Es ist unsere Gesellschaft und unser Gerede im Ganzen, das Auswirkungen auf die Natur hat.
Das alles bedeutet nun nicht, dass wir zahnlos sind. Wir können eine Menge tun. Zum Beispiel kann jeder Einzelne damit beginnen, sich konsequent allen ablenkenden Diskussionen auf Beziehungsebene zu verweigern und entsprechend konsequent im täglichen Leben handeln. Keine Verteidigung von Greta, keine Diskussionen mit Klimaleugnern, keine automatische Beteiligung innerhalb der kommunikativen Riesenwellen, sondern bewusstes Nachdenken und Reflektieren, kontrollierte Teilnahme an sinnvollen Gesprächen, die konstruktiv wirken können und Starten von Initiativen vor Ort und im Netz, die Veränderungen lostreten.
Hier wird Konsumentenkraft klar, hier wird auch klar, wie wichtig es ist, wählen zu gehen und seine Stimme Parteien zu geben, die sich effizient aufstellen wollen.
Genauso wichtig, wie global verbrecherischen Konzernen Handschellen anzulegen, sind viele kleine Beiträge zur Änderung des Mindset und zwar nicht nur dergestalt, dass wir weniger fliegen, weniger mit dem Auto fahren, mehr Busse und Bahn und Fahrräder nutzen, dass wir auf Solar umstellen, wo wir das können und lokal und bio einkaufen, sondern: Wir müssen lernen, konstruktiv anders zu denken und zu kommunizieren. Und: Wir müssen klug sein und wissen, worauf wir unsere Energie richten wollen.
Wenn der Protest auch für einen selbst nicht scharf genug ist, dann wird unsere Marktwirtschaft den Protest vermarkten!
Das ist in den letzten vierzig Jahren immer passiert. Diese Vermarktung produziert CO2 und Umweltgifte, Bioprodukte, die keine sind und die die Umwelt verschmutzen - genauso, wie vegane Produkte, deren Herstellung die zehn- bis hundertfache Ressourcenmenge von nicht-veganen Produkten frisst, umweltschädlich sind. Modevegetarier und Modeveganer sind Umweltsünder.
Der Klimawandel ist eine Marktchance im Guten, aber auch im Bösen.
Ressourcenknappheit ist ein riesiger Markt. Je knapper Fische werden, desto teurer werden sie, bis einzelne Tiere mit Werten in Millionenhöhe gehandelt werden können. Die Fabrikfischer werden nicht aufhören, die Meere auszuweiden, nur weil wir ihnen sagen, dass das keine gute Idee ist. Das gilt auch für all die Milliarden Menschen, die auf Fisch als Nahrungsquelle angewiesen sind.
Das bedeutet: Verschlechterung des Klimas ist mittlerweile ein lukratives Produkt geworden.
Wir können laut protestieren und doch nur unsere Zeit verschwenden, oder wir können darauf auszurichten helfen, dass die Weltmeere der Weltgemeinschaft gehören, so dass die Fische in internationalen Gewässern unter unser aller Schutz stehen.
Die Eisschmelze der Arktis wird mittlerweile eingeplant und zwar in dem Sinne, dass sich Staaten wie Kanada, Norwegen, Dänemark, Russland, USA und China territoriale Gedanken darüber machen, wie sie die neu entstehenden Transportwege und Ressourcen nutzen können und wie sie zu verhindern vermögen, dass andere da rankommen und daraus Vorteile ziehen. Dieses Geschäft hat bereits begonnen.
Die Leute, die den Klimawandel öffentlich leugnen, sind schon dabei, den Klimawandel marktwirtschaftlich zu nutzen. Mit anderen Worten: Sie ziehen zumindest Klimawandel in Erwägung, stemmen sich aber dagegen, das zu erwähnen – so pervers ist mittlerweile unsere Gesellschaft.
Protest ist eine wichtige Sache, aber wenn der Protest nicht in die richtige Richtung geht oder sogar die falsche Stoßrichtung hat, dann kann er verpuffen oder schlimmer noch zum Teil des Problems werden und damit das Problem verstärken. Das heißt jetzt nicht, dass man deswegen Angst vor dem Protestieren haben sollte, man sollte sich das nur bewusst machen.
Dann sollte man sich klar machen, dass Protest nicht gehört werden will. Wenn man protestiert und erwartet, dass ein unspezifischer Protest auf wohlwollende Ohren stößt, kann man gleich einpacken. Insbesondere diejenigen, die von der Systemdrift profitieren, wollen den Protest gar nicht hören.
Ich kann mir drei Abwehrmechanismen derart strukturierter Systeme auf Protest vorstellen:
A: Der Protest geht in die vollkommen falsche Richtung, betrifft niemanden, die Leute schreien herum ohne Ende, und das Establishment denkt sich "Klasse, lassen wir die mal protestieren, erreicht uns eh nicht".
B: Die nächste Immunreaktion derartiger Systeme besteht darin, den Protest in sich selbst zu kippen und mit sich selbst zu zersplittern, zu fragmentieren, so dass sich die Protestler untereinander zerstreiten, unterschiedlicher Ansicht sind und in Folge mit ihrem eigenen Problem isoliert dastehen, weil sie sich selbst versuchen zu organisieren, und damit hat der Protest wieder vollends seine Stoßrichtung verloren.
C: Die dritte Variante ist, den Protestlern anzubieten, in das System mit einzutreten, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und die Problemsituation mit zu organisieren. Damit sind die Protestler in den bereits etablierten politischen Prozess involviert und können davon ausgehen, dass keine Veränderung zustande gebracht werden kann.
Wenn man das alles begriffen hat, kann man sich auch folgendes klar machen: Wenn man in so einer Situation protestiert und tatsächlich Systemveränderung hervorbringen will, dann sollte man in Konzepten wie "Krieg" oder "Revolution" denken. Wenn man mit einer kleineren Heerschar gegen eine große Armee antritt und das in offener Schlacht, dann wird man einfach nur zerquetscht. Und das heißt, man muss sich genau überlegen, wo man das System ansprechen, treffen, pieksen kann, so dass sich dieses System wandeln muss. In der Richtung hat Mao seine Guerilla-Techniken entwickelt, so zu denken hat in der protestantischen Revolution mit Luther Wirkung gezeigt – aber in beiden Fällen konnten wir sehen, welch verheerende Umschichtungen so etwas mit sich bringt, so dass es klug ist, vorher darüber nachzudenken, wie sich das vermeiden lässt..
Wenn ich protestiere, muss ich mir überlegen, was die sensiblen Punkte des Systems sind, von dem ich Wandel will. Diese sensiblen Punkte muss ich ansprechen.
Solche sensiblen Punkte können einzelne Personen, Politiker zum Beispiel, sein, die eindeutig den Prozess der Veränderung blockieren. Indem es gelingt, ihnen die Rollenbildfunktion wegzunehmen und sie unwählbar zu machen, wird die Blockade aufgelöst. Solche Maßnahmen sollten wir allerdings gründlich und nach moralischen Gesichtspunkten erwägen, um uns darüber klar zu werden, in welcher Weise sie akzeptabel sind und in welcher nicht.
Konstruktiv umgedreht: diejenigen wählbar machen, die funktionale Lösungen beschleunigen können. Klare Stoßrichtungen sind wichtig, daher der Vergleich mit Guerilla-Techniken.
Nun kommt der fast wichtigste Punkt: Sollte so eine Herangehensweise im Protest Erfolg haben, werden die Protestler von gestern, die sich heute etablieren, zum neuen Problem und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zur Blockade für künftigen Systemwandel.
Wir kennen solche Prozesse aus der französischen Revolution: Nachdem die Privilegien abgeschafft waren, haben sich die Revolutionäre etabliert und waren plötzlich selbst die Privilegierten. Daraus ist die Bourgeoisie entstanden. Auch in der kommunistischen Revolution konnten wir miterleben, wie über Marx, Lenin und Stalin diejenigen, die ehemals systemischen Wandel initialisierten, plötzlich selbst zur Hemmschwelle systemischen Wandels wurden.
Wer Wandlung will, muss sich Selbstkritik stellen und selbst wandelbar bleiben. Das wird aber deshalb nicht einfach so möglich sein, weil ganz sicher unter den Protestlern solche mitwirken werden, die sich nicht wandeln möchten. Die werden in ihren starren Verfahrensweisen höchstwahrscheinlich die neuen Profiteure der modifizierten systemischen Drift.
Berücksichtigen wir das alles nicht, wird der Protest nicht sonderlich greifen. Doch wird es berücksichtigt, und der Protest hat Erfolg, können wir sehen, was wir immer gesehen haben: neues Establishment und Privilegiertheit, das/die beide nicht mehr in Übereinstimmung mit dem sind, was ursprünglich intendiert war. Derzeit erleben wir das in den Vereinigten Staaten, deren Konstitution und tatsächliches Establishment zunehmend auseinander driften, so dass es gewaltiger Anstrengungen (und sehr vorsichtiger noch dazu) bedürfen wird, dieses System zeitgemäß zu reparieren.
Der Klimawandel fordert uns auf allen Ebenen heraus, nicht nur auf politischer und wirtschaftlicher. Unsere Umsicht ist gefragt, unsere Bereitschaft uns neu aufzustellen und über unsere automatischen (Re)Aktionen hinauszuwachsen.