Es gibt so einige "dos and don'ts", wenn es um den Umgang mit Menschen geht, die cutting edge forschen oder Kunst machen. Das Problem ist natürlich, dass man das erkennen können muss.
Wer cutting edge arbeitet, muss mit Frustrationen auf einem Level umgehen, das für die meisten anderen Menschen in Wohlstandsgesellschaften nicht nachvollziehbar ist.
Wenn du also mit Leuten zu tun hast, die so etwas machen, solltest du Einiges beachten, denn im Zweifelsfall ist dein Verhalten nicht nur verletzend, ja sogar (ungewollt) bösartig, sondern langfristig für dich und den Künstler/Forscher, sowie für Andere schädlich.
Cutting edge Forschung und Kunst sind krisenrelevant.
Diejenigen, die sich gegen alle Widerstände aufmachen, für uns alle etwas zu erfinden und zu bauen, das uns hilft die großen Krisen zu bewältigen, sollten mit Respekt behandelt werden. Deshalb:
Einige schnelle Regeln für einen respektvollen Einstieg:
1. Lass die Finger von Verortungen im kulturellen Prozess. Cutting edge funktioniert postkulturell.
2. Beschäftige dich inhaltlich mit der Sache, bevor du Fragen stellst, und bis dahin sag lieber gar nichts. Tu nicht so, als wärst du interessiert, während du dir eigentlich nur jemanden zu sichern versuchst, der vielleicht mal bekannt werden könnte. Wenn du nicht weißt, wie du dir den Inhalt erarbeiten kannst, frag.
3. Schick den Innovateur niemals in den Pitch. Das ist respektlos, er ist kein Verkäufer, sondern Evolutionsagent.
4. Mach keine Versprechungen, die du nicht halten willst oder kannst. Sei ehrlich. Falsche Versprechungen sind seelisch grausam. Wenn dir die Forschung oder Kunst wirr vorkommt, und es gibt niemanden, der dir dabei helfen kann, das zu bewerten, warte ab.
5. Frag nicht nach Anwendungen und Brauchbarkeit, bevor dir der/die Erfinder/Künstler bestätigt haben, dass du das auch richtig einschätzen kannst. Du musst wissen, dass deine Fragen aus der Zeit vor dem cutting edge kommen. Emergenz lässt sich nicht mit Wissen aus der Zeit davor bewerten.
6. Unterlass Einschätzungen der Psyche oder auf der Beziehungsebene. Das hilft nicht nur der Sache nicht, es ist auch herablassend und übergriffig.
7. Spiel nicht das Spiel "Verteidigung der Theorie". Mit dieser - teilweise veralteten - Technik treibt man Innovateure ins Hamsterrad, und es gibt mittlerweile viel zu viele, die aus reinem Stil-Intellektualismus heraus genüsslich dabei zusehen, wie der Andere zappelt. Auch das ist seelisch grausam und menschlich vor dem Hintergrund der Leistung nicht akzeptabel. Ich habe Künstler und Forscher erlebt, die sind daran verrückt geworden.
8. Frag keine kulturellen Verorter nach ihrer Meinung, bevor du nicht mit dem Künstler oder Forscher selbst gesprochen hast. Die meisten Verorter sind - wie viele Kunstkritiker - keine, die die Leistung selbst erbringen können. In Folge neigen sie dazu, vor dem Hintergrund dessen zu verorten, was sie bereits als attraktiv/erfolgreich sehen/erwarten, und das ist im Zweifelsfall nicht (so) cutting edge. Siehe Punkt 1.
9. Denk immer daran: Wer etwas wirklich Neues in die Welt zu bringen versucht, der ist erst einmal sehr einsam und das möglicherweise über eine lange Zeit. Du kannst von so jemandem nicht erwarten, dass er die Spielregeln akzeptiert, sich mit Höflichkeitsfloskeln abspeisen lässt oder dich respektiert, wenn du ihn oder sie schlecht behandelst. Und das geht schneller, als du denkst, gerade weil cutting edge Innovation die Spielregeln verachten muss.
10. Wer lange einsam an seinem Erfolg arbeiten muss, lernt die Menschen von ihren schlechtesten - und leider nur einige Wenige von ihren besten Seiten kennen. Die Sozialkritik, die dabei herauskommt, hat es meist in sich, und man tut gut daran, sie ernst zu nehmen, egal in welchem Ton sie erfolgt.
11. Überhaupt sollte man von cutting edge Forschern und Künstlern nicht erwarten, dass sie den Ton respektieren. Es hat gute Gründe, warum so viele von ihnen im Laufe der Zeit knurrig werden - sie haben fast ausnahmslos mit einer Gesellschaft (und damit mit ihren Menschen und somit im Zweifelsfall mit dir) zu tun, die cutting edge Innovation erst dann zulässt, wenn die Krise versucht, ihr/ihnen gleich mehrere Hähne zuzudrehen.
12. Sei kein Ausbeuter: Stiehl dem Anderen nicht seine Ideen, seine Forschung, seine Kunst. Versuch ihn oder sie nicht ins Abseits zu drängen. Wenn jemand was Besseres hat als du: Fördere das auch dann noch, wenn du den Forscher oder Künstler nicht ausstehen kannst, anstatt mit Eigensucht den Markt zu verwässern. Deine persönlichen Wirtschaftsvorteile, Beziehungsbefindlichkeiten und Psychos vor die Leistung zu stellen, ist nicht sehr klimafreundlich.
13. Mach keine Vorschläge, was der/die Forscher oder Künstler (alles) tun kann, um seine Idee nach vorn zu bringen, bevor du nicht aufmerksam erfahren hast, was er/sie bereits alles bedacht hat. Du musst hier bescheiden in die Position desjenigen zurücktreten, der nichts weiß oder der zumindest nicht genug weiß. Bedenke: Der Forscher oder Künstler hat schon viel bedacht, und er wird wegen seiner vielen negativen Erfahrungen mit Menschen über eine Integrität verfügen, die du nicht oft findest. Wenn er noch jung ist, wird er außerdem verführbar sein, also besteht deine Aufgabe darin, seine opportunistischen Neigungen nicht durch deine eigenen auszubeuten.
Sei vorsichtig, umsichtig, weitsichtig und rücksichtsvoll.
Und 14. am wichtigsten: Sei praktisch! Was gebraucht wird, ist direktes Zupacken. Selbst mit nur wenig Mitteln kannst du viel tun, aber es ist deine Aufgabe herauszufinden, was das sein könnte. Wer cutting edge Kunst und Forschung fördert, verdient gesellschaftlich denselben Respekt wie der Künstler oder Forscher. Erst zusammen verändern sie die Welt.
Doch bitte: Pack nur zu, wenn du weißt, der Andere will das auch. Fast alle cutting edge Künstler oder Forscher sind sehr empfindsam, was Übergriffigkeiten angeht. Sie haben davon zu viel erlebt. Sei im Zweifelsfall mehr Team-Mitglied, weniger Pate. Und wenn du merkst, der Künstler ist was das angeht zu leicht zu lenken, lass dir was einfallen, damit er/sie sich erlauben kann sein/ihr Recht zu nutzen auf Grenzverletzung aufmerksam zu machen. Bleib deshalb bescheiden und zurückhaltend, aber gleichzeitig tu, was du kannst um zu helfen.
Das gemeinsame Projekt und seine zügige!!! Realisierung müssen ganz vorn stehen.
Cutting edge Forscher und Künstler erleben immer wieder, dass und wie Andere ihnen gedanken- oder sogar rücksichtslos ihre Lebenszeit und ihre Ideen stehlen.
Wir sollten das beachten und damit aufhören.