10 Tipps für bedeutungsdichteres Denken, Sprechen und Schreiben

1. Unbewegliche Substantive in beweglichere überführen.
Beispiel: Unterscheidung -> Unterscheiden

2. Sustantive, wo möglich und hilfreich, in Verben überführen:
Beispiel: Das Unterscheiden -> ich unterscheide

3. Unbestimmte FORMen nicht durch bestimmte Artikel in den Käfig sperren oder unangemessen spezifizieren.
Beispiel: Die Welt -> Welt
Beispiel: In einer Globalisierungsgesellschaft -> In Globalisierungsgesellschaft(en)

4. Verantwortungsabgebende Stellvertreterbezeichnungen für jedermann verantwortungsübernehmend durch "ich", "Du" ... ersetzen.
Beispiel: Man weiß -> ich weiß

5. Nicht selbstbekräftigend zu manipulieren versuchen.
Beispiel: Ich bin ja schon immer der Ansicht gewesen -> ich denke, dass ... (vorherige Tipps integriert)
Beispiel: Ich als Lehrerin denke ja -> In meiner täglichen Arbeit habe ich erfahren, dass ...

6. Überlege Dir, bevor Du etwas sagst oder schreibst, wie das für Dich funktioniert.
Was tust Du, wenn Du X tust?
Beispiel Freiheit: Wenn ich frei denke, spreche und handle, denke, spreche und handle ich so, dass ich stets bemüht bin, weitere Möglichkeiten zu schaffen.
Meine Referenz von Freiheit lautet: -> forme (die) nächste(n) Möglichkeit(en).

7. Berücksichtige, wenn Du die Tipps beherzigen möchtest, mit wem Du sprichst.
Nur Wenige haben sich mit ihrem Denken und Sprechen so weit auseinandergesetzt, dass sie bedeutungsdicht referenzieren können. Je selektiver jemand liest, desto assoziierter und getriggerter liest der/diejenige. Das bedeutet, dass Du entsprechend assoziativ und analog sprechen/schreiben solltest und Dich auf längeres kommunikatives Reflektieren einstellst.
Manchmal geht es weniger darum zu begreifen, sondern dass zumindest schon einmal das Gefühl entstehen konnte, dass wir uns miteinander verständigen.

8. Meide "ist", "sein", wo möglich - werde beweglicher.
Versuche nicht, Dich künstlich davon zu distanzieren, wie Du beobachtest. Sich geistig distanzieren zu können, hilft dabei rational zu argumentieren und Bedürfnisse Anderer zu beachten. Doch wo wir mit dem, worüber wir reden, etwas zu tun haben, sollten wir das auch kennzeichnen und integrieren.
Beispiel: Das ist ... -> Ich mache ... ich forme ... ich gestalte ... ich entscheide ...

9. Achte darauf, ob Deine logischen Formen funktionieren. Lies Dich selbst genau.
Beispiel: Stimmen die Kausalbeziehungen oder hast Du wichtige fehlende Teile gar nicht geliefert? Wenn Du "darum", "folglich", "daher", "somit" usw. benutzt, schau noch einmal gründlich nach, ob Du die Voraussetzungen dafür wirklich erfüllt hast.

10. Erlaube Dir gründliches Sprechen, auch wenn Andere mit "Äpfeln und Birnen" Augenhöhe fordern. Bedeutungsdicht zu denken, sprechen und zu schreiben, bedeutet nicht immer auch, dass jeder Dich verstehen kann. Wenn wir das glauben, schaffen wir eine Welt, in der wir nichts Neues mehr denken können. Die einfachste Sprache ist die Mathematik. Menschen denken oft, sie denken einfach, während sie tatsächlich kompliziert denken.

Ein lieber Freund hat mich gerade an die Auseinandersetzung erinnert, die Niklas Luhmann und Humberto Maturana miteinander hatten. Hier ein wunderbares Beispiel, dass und wie auf Stelzen laufendes Sprechen dazu führen kann, dass sogar zwei sonst in ihrem Feld so wunderbar kompetente Menschen ihr eigenes (und gemeinsames) Konzeptionieren nicht hinbekommen:

So etwas passiert, wenn wir verdinglicht, substantiviert und wenig prozessierend denken. Dann stehen unsere eigene Modelle plötzlich als Gegenstände da draußen, als Zustandsbeschreibungen, als komplizierte Definitionen, in denen wir uns selbst nicht reflektieren (können). Kommt es dann zum Gespräch, sieht es so aus, als wollten die Beteiligten einander sperrige Betonklötze aufzwängen - und sie vor allem einander unterstellen. Das führt unweigerlich zu Slit, zu Symmetrischen Konflikten.

Gerade, wenn es systemisch werden soll, müssen wir uns selbst reflektieren. Hantieren wir dort mit Betonklötzen, reihen ein großes Substantiv an das nächste und stelzen wie der Storch durch den Salat, mag das auf Menschen, die sich noch wenig in diesem Denken auskennen, großartig wirken, aber wer hier nicht anders kann, der offenbart demjenigen, der das kann, dass er sich in seiner Materie gar nicht so gut auskennt, wie er behauptet. Oft wird mit Definitionen herumgeworfen und in gewaltig wirkenden Konstruktionen herummystifiziert, die sich, schauen wir genauer hin, als unklare Formen entpuppen, die entweder repariert werden können oder die so zu nichts taugen, außer unsere Zeit zu verschwenden.

Bedeutungsdicht zu denken, sprechen und schreiben heißt, sich verantwortlich zu machen für Miteinander, Verständigen, gemeinschaftliches Schaffen. Der Satz Paul Watzlawicks "Die Bedeutung Deiner Mitteilung zeigt sich in der Reaktion des Anderen!" sollte nicht so interpretiert werden, dass wir als Mitteilende nicht einiges dazu beitragen können, dass wir insgesamt besser miteinander kommunizieren.

Bedeutungsdicht zu sprechen heißt auch, sich überprüfbar zu gestalten. Wir können falsch liegen. Und wenn uns etwas daran liegt, das zu entdecken, sollten wir uns darin üben, systemisch-realkonstruktivistisch funktionaler zu denken, zu sprechen und zu schreiben. So liefern wir unseren Gesprächspartnern nicht nur reichlich Chancen, uns leichter zu folgen: Wir helfen uns selbst gleichzeitig dabei, unser unklares FORMen offensichtlicher zu machen.

Das liebe alte (uns zu zwingen versuchende und verblödende) Argument, dass "der Zwang zu solchem Sprechen jede künstlerische Freiheit tötet" dürfen wir getrost in den Mülleimer werfen: Ich habe in diesem Blog schon häufiger darauf hingewiesen, dass mit bestimmten Formen (leeren und markierten) auch neue unbestimmte Formen kommen - und damit neue Chancen für imaginäre(s) Formen, für Kreatives, für Improvisieren, für Staunen, Fantasieren, Träumen. Und von "Zwang" will ich schon gar nicht reden - nur davon, sich zu überlegen, ob Du wirklich durch Nebel voll sperriger Konstruktionen laufen willst, oder ob Du Brainfog, billige Rhetorik und Panjandrum-Sprech nicht zugunsten höherer Klarheit und konstruktiveren Miteinanders aufgeben möchtest.

...

Und wenn Du jetzt rätselst, was "Panjandrum-Sprech" wohl bedeuten könnte, darfst Du Google nutzen, denn auch das dürfen wir: nicht alles erklären, sondern uns herausfordern uns geistig zu emanzipieren. Schließlich stehen uns mit Internet nahezu unbegrenzte Möglichkeiten zur Verfügung, uns selbst noch klüger, kreativer und freier zu ermöglichen.